Statement der Sozialistischen Jugend Österreich zu den aktuellen Ereignissen im Israel-Palästina-Konflikt

 

Seit rund einer Woche erschüttern uns die Bilder aus dem Nahen Osten. Die Angriffe der Hamas sind abscheulich und durch nichts zu rechtfertigen. Wir verurteilen das beispiellose Massaker der Hamas an Zivilist:innen, an Kindern und Alten, nicht zuletzt an zahlreichen Linken und Friedensaktivist:innen. Zivilist*innen als Geisel zu nehmen, zu ermorden und ihre Leichen wie Trophäen zur Schau zu stellen, ist  Barbarei, auf allen Ebenen inakzeptabel und nicht zu rechtfertigen. Ein “Befreiungskampf”, der auf das wahllose Massakrieren von Zivilist*innen abzielt, ist kein Befreiungskampf, sondern Terror. Grausamkeit um ihrer selbst willen.

Der Versuch, eine Lösung in diesem langen und komplexen Konflikt zu finden, ist schon länger beinahe zum Erliegen gekommen. Es steht zu befürchten, dass sich die Ereignisse dieser Tage nur weiter negativ auf den Friedensprozess auswirken werden. Nicht für alle ist das ein Problem. Terrororganisationen wie die fundamentalistische und zutiefst antisemitisch Hamas ziehen ihre Kraft und ihren Zuspruch aus der Polarisierung der Gesellschaft und haben kein Interesse daran, dass die zugrunde liegende Eskalationsspirale durchbrochen wird. 

Genausowenig sind die Gewaltwellen der Hamas daher spontane Widerstandsakte “der Palästinenser*innen”, sondern ein koordiniertes Vorgehen der herrschenden Klasse (der Hamas) im Gazastreifen. Diese Hamas hat ihre Herrschaft im Gazastreifen mit Gewalt gegen rivalisierende Fraktionen durchgesetzt und aufrechterhalten. Sie kann daher nicht als legitime Repräsentanz der palästinensischen Bevölkerung gelten, auch nicht in Gaza. Die Hamas überdeckt die Klassenwidersprüche innerhalb der von ihnen kontrollierten Gesellschaft mit nationalistischen und antisemitischen Mustern. Sie unterdrückt dabei Kräfte, welche die Grenze unabhängig von Nation oder Religion ausschließlich zwischen Oben und Unten sehen.

Der Staat, den die Hamas will, ist kein Staat der Emanzipation des palästinensischen Volkes - es ist ein Staat der Unterdrückung. Wer einen Beweis dafür sucht, muss nur in die Staatsform jener Länder blicken, die die Hamas finanzieren. Weder in Katar, noch im Iran, wo Linke die Proteste gegen das Regime zurecht mit aller Kraft unterstützen, noch sonst wo herrscht ein System, das auch nur annähernd etwas mit aufgeklärten, rechtstaatlichen Prinzipien zu tun hat, geschweige denn mit linken Idealen. Die Hamas will nicht weniger als die Auslöschung des jüdischen Volkes, sie haben kein Interesse an Verständigung, kein Interesse an einem Ende der Gewalt und kein Interesse an Frieden.

Die Geiselhaft, in die die Hamas die Zivilbevölkerung im Gazastreifen nimmt, ist ein weiteres Grauen und entspricht dennoch einer Systematik. Denn die Bilder von toten Zivilist*innen sind dabei ein kalkuliertes Risiko, um die eigene Macht abzusichern. Berichte der letzten Tage, nach denen die Hamas die Zivilbevölkerung von Gaza-Stadt zum Verweilen in der Stadt aufgefordert haben soll, zeigen dieses Muster deutlich.

Es ist kein Widerspruch, die Verbrechen der Hamas auf das Schärfste zu verurteilen und sich dennoch dagegen auszusprechen, die palästinensische Zivilbevölkerung in ihrer Gesamtheit ins Visier zu nehmen, auf die man keinerlei Rücksicht zu nehmen brauche. Wer tote Zivilist*innen “aufrechnet” und daraus glaubt, Legitimation für den Tod weitere unschuldiger Zivilist*innen ableiten zu können, wird aus der Gewaltspirale niemals herauskommen und unendliches Leid produzieren. 

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres meint dazu zurecht: “Das humanitäre Völkerrecht – einschließlich der Genfer Konventionen – muss geachtet und aufrechterhalten werden. Zivilist*innen auf beiden Seiten müssen zu jeder Zeit geschützt werden.” Das scheint aktuell nur bedingt der Fall zu sein. Hunderttausende Menschen haben seit Beginn der Woche ihre Heimat im Gazastreifen verlassen müssen, der Zugang zu elementarer infrastruktureller Versorgung ist nicht mehr gegeben. Die Ankündigung der israelischen Regierung, die Blockade von Hilfsgütern, Benzin (das zum Betreiben der Kraftwerke benötigt wird) oder anderer lebenswichtiger Güter auf unbestimmte Zeit fortzusetzen, ist daher im Einklang mit den Forderungen der UNO abzulehnen. Ebenso wie militärische Aktionen, die massenhaft zivile Opfer fordern und mit dem Völkerrecht nicht vereinbar sind. Das war es in der Vergangenheit, gilt in der Gegenwart und muss auch in Zukunft eine wichtige Leitlinie sein. 

Denn es ist nicht die palästinensische Bevölkerung als Kollektiv, die für Terror und Leid verantwortlich ist, sondern eine fanatische Terrororganisation. Die Vielzahl an zivilen Opfern widerspräche nicht nur dem Prinzip der Humanität, sie liegt auch nicht im längerfristigen israelischen Interesse, weil die menschlichen Tragödien neuen Nährboden für einen Hass bilden, der am Ende abermals der Hamas und ihresgleichen in die Hände spielt. Die zentrale Frage für uns als Sozialist*innen lautet daher, welche Maßnahmen notwendig sind, um Organisationen wie der Hamas das gesellschaftliche Fundament zu entziehen. Die Radikalisierung von Teilen der palästinensischen Bevölkerung entsteht nicht im luftleeren Raum. In den 1990ern schien eine Friedenslösung noch in Reichweite zu sein. Davon kann heute kaum mehr die Rede sein. Diverse Anschläge, eine Radikalisierung in Worten und Taten und auch der bewusste Bruch von Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats trugen dazu bei. Sie bewirkten sich verstärkend eine Stärkung radikaler rechter Kräfte, die eine tatsächliche Lösung des Grundproblems in weite Ferne rücken ließen. Frust, Wut und Perspektivlosigkeit der palästinensischen Bevölkerung ist Wasser auf die Mühlen der Hamas und ihrer apokalyptischen Grundhaltung. Will man die Gewaltspirale durchbrechen und langfristig für Frieden sorgen, braucht es daher eine ernstzunehmende politische und sozioökonomische Perspektive für die Palästinenser*innen bei gleichzeitiger Wahrung der legitimen Sicherheitsinteressen der israelischen Bevölkerung.

Wir verachten den Terror, die Ideologie und die Aktivitäten der Hamas - Wir achten das Recht der palästinensischen Bevölkerung und ihr legitimes Ansinnen gemäß den Beschlüssen der UNO auf einen eigenen Staat. Die Gewaltspirale, die sich jetzt vor allem im Gazastreifen zeigt, muss durchbrochen werden. Um das verloren gegangene Vertrauen und die Gesprächsbasis schrittweise wiederherzustellen, müssen alle Kanäle genutzt werden. um zum Dialog bereite Teile der israelischen wie auch der palästinensischen Gesellschaft zusammenzubringen. Diese Prozesse und Anstrengungen zu unterstützen und gleichzeitig auch in Österreich über unsere internationalen Kanäle daran zu arbeiten, erachten wir in der aktuellen Debatte als unsere wichtigste Aufgabe.

Nur so kann es langfristig gelingen, gesellschaftliche Mehrheiten für friedliche und existenzsichernde Maßnahmen in der ganzen Region zu schaffen. Nur so kann es langfristig gelingen, die Einflüsse von Organisationen wie der Hamas, die anderen Gruppen und Völkern de facto das Existenzrecht absprechen, innerhalb einer Gesellschaft zurückzudrängen und deren Hass und Hetze den Nährboden zu entziehen.

Seit jeher im Allgemeinen und seit vergangener Woche im Speziellen ist die Auseinandersetzung mit Kriegen, internationalen Konflikten und auch konkret dem Israel-Palästina-Konflikt ein intensiver Teil der politischen Bildungsarbeit der Sozialistischen Jugend, die sich in Form von Diskussionsrunden, Workshops und Ähnlichem äußert. Wir sehen es als unseren historischen Auftrag an, mit jungen Menschen zu arbeiten und an einer Welt zu bauen, in der Terror, Antisemitismus, Rassismus  und Gewalt der Vergangenheit angehören. In Palästina, in Israel und überall sonst auf dieser Welt. Die Ereignisse der vergangenen Woche zeigen uns, wie wichtig diese Auseinandersetzungen jeden Tag aufs Neue sind.

Hoch die internationale Solidarität. Nein zu all jenen, die ihre Legitimation aus Gewalt, Hass und dem Vernichtungswillen anderer Völker ziehen.

- Verbandsvorstand der Sozialistischen Jugend Österreich, Wien, 18. Oktober 2023