Gender-Verbot in Bayern: Kulturkampf statt Sachpolitik

Geht es um die Eleganz der Sprache oder um Geschlechterrollen? Markus Söder (r.) liebt die Verkleidung, ward aber auch schon als Frau gesehen. Foto: Stefan Brending / CC-BY-SA-3.0 DE

Der Freistaat hat viele Probleme. Von den Mieten der Landeshauptstadt bis zu maroden Schulen. Gut, dass die CSU weiß, was wichtig ist. Ein Kommentar.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat die Konservativen, die "nichts mehr sagen dürfen", mit einem Schlag aus der Opferrolle katapultiert: Wenn er zukünftig noch Grüne und Linke als "Verbotsparteien" framen will, muss er sich wohl oder übel das "Gender-Verbot" aufs Butterbrot schmieren lassen. Vermutlich hat er dann trotzdem erreicht, was er wollte.

Aber der Reihe nach: In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden sind nun Schreibweisen mit Sonderzeichen wie Gender-Gap, Genderstern, Doppelpunkt oder Mediopunkt ausdrücklich unzulässig.

"Das gilt unabhängig von etwaigen künftigen Entscheidungen des Rates für deutsche Rechtschreibung zu der Frage der Verwendung von Sonderzeichen", teilte die Staatskanzlei nach einem Kabinettsbeschluss am Dienstag mit.

CSU im Anti-Genderwahn: Diskursräume durch Verbote offenhalten

"Für uns ist die klare Botschaft: Sprache muss klar und verständlich sein", sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur. Es gehe bei dem Verbot aber auch darum, die "Diskursräume in einer liberalen Gesellschaft offenzuhalten".

Eine ideologisch geprägte Sprache wie das Gendern habe dagegen eine exkludierende Wirkung. In bestimmten gesellschaftlichen Milieus werde diese Sprache auf oft missionarisch genutzt, was nicht mit einer offenen Gesellschaft vereinbar sei. Das muss man, frau oder wer auch immer erst mal sacken lassen – oder auf gut Bayerisch: Da legst di nieder!

Das Problem ist nicht, dass die Aussage über den (wenn auch ungewollt) exkludierenden Charakter der besagten Milieus falsch wäre. Nein, da ist leider etwas Wahres dran – deshalb ist auch dieser Artikel bewusst nicht mit Sonderzeichen gegendert. Eine unaufgeregte Diskussion darüber, ob das eleganteste und am besten lesbare Form geschlechtergerechter Sprache ist, scheint momentan sowieso kaum noch möglich.

Aber wem nicht auffällt, wie absurd es ist "Diskursräume in einer liberalen Gesellschaft" durch ein Verbot offenhalten zu wollen, dem ist nicht mehr zu helfen.

Gender-Kulturkampf als Ablenkungsmanöver

Angesichts realer Probleme in Deutschland und auch im vermeintlich so properen Freistaat Bayern muss der Anti-Gender-Coup der Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern als brillantes Ablenkungsmanöver bezeichnet werden.

Ein Beispiel, um im Schulbereich zu bleiben, sind die maroden Räumlichkeiten, in denen sich Kinder und Jugendliche beim Lernen aufhalten müssen.

Jenseits der Gender-Debatte: Echte Probleme an Schulen

In Augsburg, einer der ärmsten Kommunen Bayerns, haben im vergangenen Sommer Eltern die Sanierung von Schultoiletten selbst in die Hand genommen, weil es an Geld fehlte. Auch in der schmucken bayerischen Landeshauptstadt sind marode Schulen seit Jahren ein Thema.

München ist dennoch Deutschlands teuerste Großstadt. Abgesehen davon, dass Mindestlohn-Beschäftigte dadurch hier noch ein Stück schlechter gestellt sind als anderswo, bekommt die Stadt aufgrund hoher Mieten den Fachkräftemangel in Bereichen wie Pflege, Handwerk und Gastronomie besonders zu spüren.

Wohnungssuchende männlich / weiblich / divers – und abgezockt

Laut einer Analyse des Immobilienportals Immowelt lag München Ende 2023 mit Mietpreisen von durchschnittlich 21,01 Euro pro Quadratmeter deutlich vor der zweitplatzierten Stadt Berlin, wo Wohnungssuchende "nur" mit 17,64 Euro pro Quadratmeter rechnen mussten. Der aktuelle Mietspiegel für München weist eine Durchschnittsmiete von 22,00 Euro pro Quadratmeter aus.

Laut einer aktuellen Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC gelten überteuerte Wohnkosten als zentrales Manko für das Leben in der Großstadt. Zwar hängt bisher nur eine kleine Minderheit deswegen einen Job an den Nagel und zieht um – für Unternehmen wird die Rekrutierung neuer Fachkräfte aber in Ballungsräumen immer schwieriger.

Statt pro und kontra Gendern: Ein Thema, das verbinden könnte

Das weiß auch Söder, der im Jahr 2018 zumindest den Bau von 10.000 bezahlbaren Wohnungen bis 2025 versprochen hat. Bis Ende 2023 (!) hatte die dafür gegründete Baugesellschaft BayernHeim laut einem Bericht des konservativen Münchner Merkur allerdings erst 267 der versprochenen 10.000 Wohnungen fertiggestellt.

Vor dem Hintergrund solcher "Leistungen" wird klar, warum Söder den Kulturkampf anheizt: Beim Agenda-Setting geht es nicht nur darum, wer sich langfristig durchsetzt, sondern vor allem darum, welche Themen "trenden" – und worüber dadurch vielleicht weniger oder gar nicht geredet wird.

Wäre das Top-Thema der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, könnten sich am Ende noch junge Queerfeministinnen und alte weiße Männer auf Demos gegen Staatsregierung und Immobilien-Lobby verbünden.

Gendern, Symbolpolitik und konkrete Lebensqualität

Stattdessen werden Sonderzeichen wie der Genderstern in progressiven Milieus durch das Verbot erst recht als Symbole für Freiheit, Gleichheit und Fortschritt geadelt. Die konkrete Lebensqualität von Frauen, die durch den "Gender Pay Gap" noch stärker unter hohen Mieten leiden, wenn sie alleinstehend sind, verbessert sich dadurch nicht.

Und: Eine "Diskriminierung nach Geldbeutel" ist auf dem Mietmarkt absolut üblich und fällt nicht unter das Antidiskriminierungsgesetz.

Wenn eine Transsexuelle nicht mindestens das Dreifache der Angebotsmiete verdient und der Vermieter sich nicht offen transfeindlich äußert, kann die Absage auch daran liegen, dass er Normal- oder Geringverdienenden einfach nicht zutraut, pünktlich zu zahlen. Das ist sogar wahrscheinlich und unabhängig davon, ob er nebenbei trans- oder queerfeindlich denkt.

Wer bereits auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt ist, wird es auch auf dem Mietmarkt sein und dort erst recht keine justiziable Diskriminierung nachweisen können.