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Stand vom 20.01.2006

Ein Beuys für 20 Mark

Gespräch mit Beuys-Sammler Franz Joseph van der Grinten

Den ersten Beuys kauften die Brüder van der Grinten für 20 Mark - Grundstock für die größte Beuys-Sammlung der Welt. Ein Gespräch zum 20. Todestag des Klever Künstlers mit Franz Joseph van der Grinten: über Beuys als Mensch und Künstler und die Lust des Sammelns.

wdr.de: Viele Menschen finden keinen Zugang zum Werk von Beuys. Die Aktion der Putzfrau, die 1988 eine Fettecke des Künstlers in der Kunstakademie "entsorgte", ruft heute noch hämische Zustimmung hervor. Woran mag das liegen?

Franz Joseph van der Grinten; Rechte: WDR/KösterBild vergrößern

van der Grinten: "Beuys braucht Zeit."

Joseph van der Grinten: Beuys hat sehr einfache Materialien verwendet und in einen ungewöhnlichen Zusammenhang gestellt: einen Besen, ein Bürstchen, ein Stückchen Ton, eine Kordel, oder Fett und Filz. Man muss viel darüber nachdenken, warum er die Dinge auf diese Weise zusammengeführt hat. Bei Beuys findet man die Nachdenklichkeit des am Niederrhein aufgewachsenen ländlichen Menschen verdichtet zu einer meditativen Qualität, auf die man sich einlassen muss. Das braucht Zeit, die viele nicht aufwenden wollen. Als mein Bruder und ich 1953 die erste Beuys-Ausstellung bei uns zu Hause machten, hatten wir das Gefühl, das sei etwas unglaublich Kostbares. Aber verstanden haben wir Beuys erst nach Jahren.

wdr.de: Was war Beuys für ein Mensch?

van der Grinten: Ein außerordentlich liebenswerter, freundlicher Mensch. Und sehr geduldig. Kein Gesprächspartner war ihm zu gering. Beuys war oft bei uns auf dem Hof in Kranenburg und hat auch mit den Tagelöhnern gesprochen. Die einfachen Leute waren von ihm begeistert. Die sahen ihn als einen Menschen, der aus ihrer Sicht mit Kühen vernünftig umgehen konnte. Die Bürger von Kleve sahen ihn anders. Die hatten für ihn kein Verständnis. Beuys hat seine Heimat ja sehr geliebt und Kleve sogar einen Brunnen angeboten, den hätte er umsonst gemacht für einen der Plätze. Da war er schon berühmt. Die Klever wollten ihn nicht. In Kleve gilt Beuys noch heute als abseitig. Da hat sich kaum etwas geändert.

Der erste Beuys für 20 Mark

wdr.de: Warum haben Sie und Ihr Bruder begonnen, Beuys zu sammeln?

van der Grinten: Wir wären gern älter gewesen und hätten Klee und Kandinsky als unsere Zeitgenossen gesammelt. Aber ein befreundeter Maler sagte uns: Das sehen Sie falsch. Jede Zeit hat ihren Kandinsky. Und wir haben gefragt: Wie sollen wir den denn finden, hier auf dem Lande? Da hat er gesagt: Sie kennen doch Beuys. Fangen Sie mal mit ihm an. Das war 1951. Als wir Beuys dann wieder einmal auf der Straße sahen - wir kannten ihn ja nur vom Sehen - haben wir ihn einfach angesprochen. Dann ist er zu uns gekommen und hat Sachen gezeigt. Wir haben jeder ein Blatt gekauft damals, für je 20 Mark.

wdr.de: Und wie kam es zur größten Beuys-Sammlung Deutschlands?

Audio

van der Grinten: Na, zwei Blätter hatten wir ja schon. Das dritte Stück war eine Mappe, die Beuys uns machen wollte. Aber wir hatten nicht viel Geld damals. Da hat Beuys gesagt: Immer, wenn ihr zehn Mark übrig habt, schickt sie mir, bis die Mappe abgezahlt ist. So haben wir es gemacht. Als Beuys 1961 Professor wurde an der Düsseldorfer Akademie, hat er gesagt: Ich muss einen Haufen Zeug los werden, das beengt mich, ich will das nicht bei mir haben. Ich mache euch einen Preis und wir überlegen eine Jahresrate, und die bezahlt ihr dann ab. Auf diese Weise sind mit einem Schlag zwischen zwei- und dreitausend Arbeit en zu uns übergegangen. Zwölf Jahre haben wir dann abgezahlt.

Jeder Mensch ein Künstler?

wdr.de: "Jeder Mensch ist ein Künstler." So lautet einer der berühmtesten Sätze von Beuys. Das klingt entweder sehr naiv oder recht geheimnisvoll. Was hat Beuys damit gemeint?

van der Grinten: Der Satz ist im Grunde eine tiefgreifende philosophische Erkenntnis, auf eine ganz simple Formel gebracht, wie Beuys das gerne machte. Eine Erkenntnis, die auch religiöse Wurzeln hat. Er zielt auf die kreative Fähigkeit des Menschen, auch Schöpfer sein zu können. Das ist eine Frage des Bewusstseins und der Einstellung, und alles, was die Welt verändert, und sei es noch so simpel, ist schöpferisch. Das sagt auch Beuys' Kapitaltheorie. Geld ist im Grunde nichts. Das eigentliche Kapital des Menschen ist seine Fähigkeit, seine Welt zu beeinflussen, zu verändern. So ist das gemeint.

wdr.de: Schließt dieser erweiterte Kunstbegriff also auch das Politische ein?

Joseph Beuys besichtigt den Stacheldraht-Zaun, den Studenten der Kunstakadmie aus Protest gegen seine Entlassung errichtet hatten; Rechte: dpaBild vergrößern

Protest gegen die Entlassung von Beuys

van der Grinten: Ja, unbedingt. Auch hinter der Besetzung des Sekretariats der Akademie mit abgewiesenen Studenten 1972 steht ja die Vorstellung, dass jeder Mensch ein Künstler ist und die Möglichkeit haben soll, sich selbst kennen und messen zu lernen. Deshalb wollte Beuys keine Aufnahmeprüfung, sondern ein Probejahr. Der Schüler sollte sich selbst klar werden, ob er Potenzial hat oder nicht, und selbst die Konsequenzen ziehen. Aber eigentlich schließt der Satz alle Bereiche des Lebens ein. Beuys hat einmal gesagt: Wenn eine Frau, die Kartoffeln schält, sich dabei bewusst ist, dass sie arbeitet wie ein Bildhauer, dann ist die Kartoffel, die sie schält, eine Plastik. Das ist also nicht so gemeint, dass man drei Striche ziehen kann und sagen: Beuys hat gesagt, ich bin ein Künstler, und deshalb ist das Kunst. Im Bereich der Kunst war Beuys sehr anspruchsvoll.

Ob Silber oder Zahnpasta ist gleich

wdr.de: Wo liegt Beuys' Bedeutung heute?

van der Grinten: Die Bedeutung, auch die nachwirkende Bedeutung für alle, auch für Sie, ist wohl, dass Beuys ein neues Selbstvertrauen erweckt hat für die künstlerischen Ausdrucksmittel, die man nun frei von aller Reglementierung nutzen kann. Seit Beuys ist anders gezeichnet worden als bis zu Beuys. Auch das Materialverständnis ist seit Beuys ein anderes, dieses Nebeneinander der Dinge. Künstlerisch können Zahnpasta und Silber die gleiche Funktion haben und von daher auch dieselbe Qualität. Viel von Anselm Kiefers Materialverständnis geht auf Beuys zurück, oder bei Felix Droese oder im Bereich der Aktionskunst. Da hat sich dank Beuys im Kunstverständnis viel verändert. Das kann man spüren, wenn man sich mit Beuys auseinandersetzt. Das nutzt sich auch nach Jahren nicht ab.

Das Gespräch führte Thomas Köster

Franz Joseph van der Grinten wurde 1933 in Kranenburg am Niederrhein geboren. Aufgewachsen mit seinem ein Jahr älteren Bruder Hans auf dem Hof seiner Eltern, ging er zum Studium der Philosophie und Kunstwissenschaften nach München, Köln und Bonn. Schon früh lernten die beiden Brüder Joseph Beuys kennen, waren die Ersten, die Arbeiten von ihm kauften. Beuys lebte und arbeitete eine Zeit lang bei ihnen, sie organisierten seine Ausstellungen - anfangs im elterlichen Stall. Aus der Freundschaft zu Beuys entwickelte sich über die Jahre ihre Begeisterung für die Kunst. Rasch wuchs ihre Sammlung zu einer der wichtigsten Privatsammlungen in Nordrhein-Westfalen, die sie 1990 der Stiftung Museum Schloss Moyland vermachten. Nahezu 5.000 Arbeiten von Joseph Beuys werden heute im Museum verwahrt.

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