Sie befinden sich hier: WDR.de WDR Fernsehen Wissen Quarks & Co Sendung vom 31. Mai 2005 Wenn die Lichter ausgehen: Stromausfall
Strom ist unsichtbar. Trotzdem ist er allgegenwärtig. Doch spürbar wird er vor allem dann, wenn er fehlt. Manchmal kommt es zu einem kleinen Stromausfall, wenn ein Bagger bei Bauarbeiten versehentlich eine Leitung durchtrennt hat oder ein Strommast umgeknickt ist. In solchen Fällen sind nur wenige Menschen ohne Elektrizität. Doch im Jahr 2003 kam es zu einer Reihe von flächendeckenden Stromausfällen, bei denen Millionen Menschen im Dunkeln standen: In Nordamerika (Kanada/ USA ) waren über 50 Millionen Menschen ohne Strom und in Skandinavien (Dänemark/Schweden) traf es rund 4 Millionen Einwohner. In Italien wurde fast das ganze Land lahm gelegt. Bis auf Sardinien waren rund 57 Millionen Italiener zwischen den Alpen und Sizilien ohne Elektrizität.
Es war in der Nacht auf den 28. September 2003, ein Sonntag. In Rom wurde gerade die "Notte Bianca" - die "Weiße Nacht" - gefeiert, ein kulturelles Highlight mit offenen Museen, Konzerten und anderen Kulturveranstaltungen in der hell erleuchteten Stadt. Doch gegen 3.28 Uhr fiel im ganzen Land der Strom aus und in Rom wurde die "Weiße Nacht" dunkel. Die Feier war vorbei. Überall im Land blieben Menschen in Aufzügen und U-Bahnen stecken, der Flugverkehr wurde eingestellt. Nur noch Notstromaggregate funktionierten. Ursache für den Blackout war eine unglückliche Folge von Ausfällen.
Um kurz vor 3.00 Uhr war die italienische Stromwelt noch in Ordnung. Über die Alpen wurde die übliche Leistung von 6.500 Megawatt nach Italien importiert. Das Land ist Stromimporteur. Es braucht neben der eigenen Produktion auch noch Strom aus Österreich und Slowenien, vor allem aber aus Frankreich und der Schweiz. Gegen 3.01 Uhr kam es jedoch in der Schweiz zu einem Kurzschluss bei der großen 380-KV-Leitung über den Lukmanierpass, zwischen Mettlen und Lavorgo. Der Strom war auf einen Baum übergeschlagen, der zu nahe an der Leitung stand. Die Leitung fiel komplett aus. Mehrere Versuche, sie wieder zu aktivieren, schlugen fehl. In der Zwischenzeit mussten die anderen Leitungen den Ausfall kompensieren und zusätzliche Mengen Strom transportieren – besonders die nahe gelegene zweite große 380-KV-Transitleitung in der Schweiz, die San-Bernardino-Leitung.
Nur für kurze Zeit kann die San-Bernardino-Leitung in Notsituationen solche Mehrbelastungen aushalten. Deshalb wandten sich die Techniker des Schweizer Stromnetzes an ihre italienischen Kollegen in Rom. Sie sollten die Importleistung reduzieren, um das Schweizer Stromsystem zu entlasten. Sofort drosselten die Italiener den Import um 300 Megawatt. Doch das reichte nicht aus: um 3:25 Uhr fiel auch die San-Bernardino-Leitung zwischen Sils und Soazza aus. Sie war heiß geworden und hatte sich ausgedehnt, so dass auch sie zu nahe an einen Baum kam. Auf den schlug jetzt der Strom über – ein weiterer Kurzschluss mit verheerenden Folgen. Denn die verbliebenen Importleitungen wurden schlagartig belastet. Sicherheitssysteme schalteten sie deshalb automatisch fast gleichzeitig ab. Zwölf Sekunden nachdem die San-Bernardino-Leitung ausgefallen war, wurde das italienische Stromnetz vom Europäischen Netzwerk getrennt.
Abgeschnitten von der Außenwelt konnte sich das italienische Stromnetz nur noch zweieinhalb Minuten im Inselbetrieb halten, bis es außer Kontrolle geriet. Denn die Spannung und die Frequenz im Netz sanken so schnell, so dass sich nun auch die Kraftwerke abschalteten. Dies geschieht automatisch zum Schutz der Generatoren und Turbinen. Dadurch brach das Stromnetz nun völlig zusammen und Italien versank für Stunden in Dunkelheit. Auch wenn man schon gegen 3.45 Uhr begann, das Netz wieder aufzubauen, stand die Stromversorgung in Rom erst am Nachmittag wieder vollständig. Im Süden des Landes dauerte es sogar bis zum Abend. Ein Blackout von europäischer Dimension – er zeigt, wie komplex das Netzwerk ist, das ein Land mit Strom versorgt.
Carsten Binsack
Stand: 31.05.2005