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Mehr als Laufen – das Magazin zur Leichtathletik-WM 2009 in Berlin

Die Frau für alle Fälle

Niemand hatte sie auf der Liste –  und dann gelingt ihr der schnellste Lauf ihres Lebens. Es folgen die Aufnahme in die WM-Mannschaft und viele andere neue Dinge, mit denen Lisa Schorr nicht gerechnet hat . Ihre erste Weltmeisterschaft genießt sie in vollen Zügen.

Von Silke Hans, Fotos von Simon Kremer

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Ein kleines Café an der Universität des Saarlandes. Hier sitzen Studenten, trinken ihre Latte Macchiato oder manchmal auch ein Bier und unterhalten sich über Matheformeln, Gerichtsurteile oder die Party letzte Nacht. Normalerweise ist es ein eher ruhiger Ort. Aber nicht so am 07.07.09.  Ein lauter Jubelschrei druchdringt an diesem Tag das kleine Café. Er kommt von Lisa Schorr. Denn gerade hat ihr ihr Vater am Telefon mitgeteilt, dass sie für die Leichtathletik-WM in Berlin für die 4×100 Meter Staffel nominiert ist. „Ich habe mich einfach nur total gefreut. Es war einfach nur riesige Freude in meinem Kopf“, erinnert sie sich und lacht dabei überglücklich. Auch wenn sie bei der Weltmeisterschaft mit einiger Wahrscheinlichkeit gar nicht auf der Bahn stehen wird. Denn sie ist “nur” als fünfte Frau der Staffel, als Ersatzläuferin, nominiert.

Lisa Schorr ist Sprinterin. Schon früh in ihrer Kindheit hat sie gezeigt, dass sie schnell laufen kann. Das Talent fällt bei Schorr006einem Wettbewerb auf. Sie tritt gegen ältere Kinder an und doch rennt sie als erste durch das Ziel. Die Siegerzeit ist bis heute unbekannt. Denn Lisa Schorr war so klein, dass sie unter der Lichtschranke durch lief. Der Weg zur Leichtathletik und dem 100-Meter-Sprint war also nicht weit.

1999 wurde sie deutsche B-Jugend-Meisterin und verbesserte ihren Rekord auf 11,75 Sekunden. Im selben Jahr läuft sie bei der U 18 Weltmeisterschaft mit der 4 x100 Meter Staffel auf den vierten Platz. „Damals dachte ich: Jetzt kann ich richtig trainieren und richtig richtig durchstarten“, sagt Lisa Schorr. Doch  ein Ermüdungsbruch im linken Fuß einen Strich durch die Rechnung. Zwei Jahre lang muss sie zwangsweise pausieren.

Immer wieder werfen Lisa Schorr solche Verletzungen zurück. Insgesamt fünfmal halten die Knochen im Fuß nicht. Der Durchbruch auf nationaler Ebene gelingt ihr nicht.

Bis zum 4. Juli 2009. Bei den deutschen Meisterschaften im Ulm läuft sie in 11, 34 Sekunden auf den 3. Platz. „Ich war damals noch nicht mal so zufrieden mit meinem Lauf. Ich war nicht glücklich mit der Außenbahn, da mich die Kamera so irritierte und dachte: naja, könnte so für den fünften oder sechsten Platz gereicht haben. Doch dann kam der Stadionsprecher zu mir und sagte, dass ich Dritte bin. Das konnte ich erst gar nicht glauben und bin dann vor Freude in Tränen ausgebrochen“, erinnert sie sich.

Mit diesem dritten Platz und der Nominierung für die Weltmeisterschaften ändert sich das Leben der 27jährigen. Viele Leute, die nicht mehr anSchorr002 sie geglaubt haben und sich schon gewundert haben, warum sie nicht endlich mit der Leichtathletik aufhört, klopfen ihr nun auf die Schulter und gratulieren ihr. Anstatt zu Hause zu studieren und zu trainieren, verbringt sie viel Zeit in den Trainingslagern der Nationalmannschaft. In ihrem Briefkasten finden sich Autogrammwünsche und auch in Berlin auf der Straße wir sie nach Autogrammen gefragt. „Das alles ist so neu für mich. Als die Anfragen für Autogramme kamen, habe ich erst bemerkt, dass ich überhaupt keine Autogrammkarten habe.“ Und auch an andere Dinge muss sie sich erst gewöhnen. Zum Beispiel an die Akkreditierungskarte, die sie immer dabei haben muss, um ins Hotel, ins Stadion oder auf den Trainingsplatz zu kommen. „Ich gehe so oft aus dem Zimmer und lasse die Karte liegen. Der ganze Trubel, die Aufmerksamkeit und das alles ist einfach noch so irritierend für mich.“

Trotzdem versucht Lisa Schorr jeden Moment der Weltmeisterschaft zu genießen. Die Gänsehautmomente im Stadion, wenn sie mit dem deutschen Team deutschen Athleten zujubelt. Die Zeit auf dem Trainingsplatz, wenn sie die anderen Topathleten beobachten kann. Oder einen Besuch mit Führung im Reichstag, der exklusiv für die Deutsche Mannschaft organisiert wurde. All das zählt schon jetzt zu ihren ganz persönlichen WM-Highlights. Doch eines wird noch am Sonntag hinzukommen. Dann startet die 4×100 Meter Staffel. Auch wenn ein kleiner Wermutstropfen bleibt. Denn als Ersatzfrau wird sie nicht mitlaufen können. „Ich glaube schon , dass es ein komisches Gefühl sein wird sich mit den Mädels warm zu machen und dann zu sagen ‘Tschüss ich gehe jetzt auf die Tribüne’, während die anderen im Tunnel verschwinden. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und werde sehr stark von der Tribüne mitfiebern.“

Am Samstag will Lisa Schorr dann wieder einen lauten Jubelschrei ausstoßen. Doch dieses mal von der Tribüne des Olympiastadions.

 

Nachtrag: Lisa Schorr hat sich den Finallauf der Staffel doch nicht im Stadion angeschaut. Sie saß vor einem Fernseher auf dem Trainingsplatz. “Es hätte einfach zu weh getan”, sagte sie. Trotzdem feierte Lisa Schorr die Bronzemedaille mit ihren Teamkolleginnen bis spät in die Nacht.

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