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Mar 4, 2005

Pippi Langstrumpf: Schwedische Rebellin und Vorbild der Frauenbewegung

by: Tiina Meri, freie Journalistin
Überall in der Welt hat Pippi Langstrumpf Generationen von Mädchen ermuntert, Spaß zu haben und an die eigenen Fähigkeiten zu glauben. So hat Pippi auf dem Gebiet der Gleichstellung Großes geleistet. In diesem Jahr wird die vielleicht umstrittenste Kinderbuchfigur Astrid Lindgrens 60 Jahre alt.

Durch Olle Hellboms Filme aus den 1970er Jahren wurde Pippi Langstrumpf noch mehr zu einem Begriff. Foto: www.imagebank.sweden.se ©Jan Delden/Pressens Bild
Durch Olle Hellboms Filme aus den 1970er Jahren wurde Pippi Langstrumpf noch mehr zu einem Begriff. Foto: www.imagebank.sweden.se Jan Delden/Pressens Bild

Pippi Langstrumpf ist wirklich ein ungewöhnliches Mädchen. Sie ist finanziell unabhängig, denn sie besitzt einen Handkoffer voller Goldstücke. Sie kann mit der Pistole schießen und auf den sieben Meeren segeln. Sie ist frech aber auch freundlich,  kann ein Pferd hochheben und den stärksten Mann der Welt, den starken Adolf, bezwingen.

Befreierin der Kinder

Pippi Langstrumpf ist eine Rebellin und seit 60 Jahren trägt sie dazu bei, die Kinder dieser Welt zu befreien. In der Phantasie hat sie die Kinder vor den Regeln der Erwachsenen und der Plutimikation der Schule gerettet. Sie hat sie mit unbegrenzten Mengen Limonade versorgt und sich für die Schwachen in der Gesellschaft eingesetzt.

So ist es nicht weiter merkwürdig, dass die antiautoritäre Pippi in Diktaturen und konservativen Ländern der Zensur zum Opfer fiel und  bei vielen Erwachsenen Abscheu erregte.

Noch vor zehn Jahren hieß es in der Diskussion gesellschaftlicher Fragen in Schweden, dass der Einfluss des „Pippikultes“ auf Schule und Kindererziehung sehr negativ gewesen sei. „Die Pippiverehrung hat alles auf den Kopf gestellt, Schule, Familienleben, normales Verhalten“, war in einem Diskussionsbeitrag in der Tageszeitung Svenska Dagbladet zu lesen.

Eingewurzelte Geschlechterrollen lächerlich machen

Vielleicht haben Kritiker und Zensoren Pippi mit den Augen von Erwachsenen etwas zu ernst genommen. Kinder wissen ja, dass Pippi etwas falsch macht, wenn sie auf einem Gartenfest Saft aus der Kanne trinkt. Trotzdem hat Pippi, genau wie andere populäre Kinderbuchfiguren, Gedanken und Verhalten von Kindern beeinflusst.

Cool an Pippi ist deshalb, dass sie eingewurzelten Vorstellungen von „Mädchenhaftigkeit“ zuwiderhandelt und  sich vielleicht sogar über die Geschlechterrollen der Erwachsenen lustig macht.

So wenn Pippi auf den Markt geht, mit einem Hut auf dem Kopf, riesig wie ein Mühlrad. Ihre Augenbrauen hat sie sich mit Kohle geschwärzt und Mund und Fingernägel rot angemalt. Außerdem trägt sie ein langes Ballkleid. Auf ihren Schuhen hat sie große, grüne Schleifen befestigt. „Ich finde, man soll wie eine Wirklich Feine Dame aussehen, wenn man auf den Markt geht“, sagt Pippi.

Aber auf das Aussehen kommt es Pippi nicht so sehr an wie vielen anderen Mädchen und Frauen. Pippi ist absolut kein Objekt und nachweislich kein Opfer der Schönheitsindustrie. Ein Geschäft in der kleinen Stadt hat eine Werbetafel im Schaufenster mit der Aufschrift „LEIDEN SIE AN SOMMERSPROSSEN?“ Das tut Pippi nicht. Sie will keine Creme gegen Sommersprossen kaufen, sondern geht in den Laden und verkündet der verständnislosen Verkäuferin: „Nein, ich leide nicht an Sommersprossen!“ „Ja, aber mein liebes Kind“, antwortet die Verkäuferin, „du hast ja das ganze Gesicht voller Sommersprossen.“ „Ja, sicher“, sagt Pippi. „Aber ich leide nicht darunter. Mir gefallen sie. Guten Tag!“

Das erste Buch über Pippi Langstrumpf erschien 1945 und beruhte auf den Gutenachtgeschichten, die sich Astrid Lindgren für ihre Tochter ausdachte. © Foto: Pressens Bild
Das erste Buch über Pippi Langstrumpf erschien 1945 und beruhte auf den Gutenachtgeschichten, die sich Astrid Lindgren für ihre Tochter ausdachte. Foto: Pressens Bild

Neue Anforderungen an Mädchen

Im Lauf der Zeit ist Pippi eine Art Vorbild der Frauenbewegung geworden, was nicht weiter verwundert. Eine der Auswirkungen ist, dass seit den letzten Jahrzehnten wenigstens bei den Erwachsenen, die in ihrer Erziehung eine Gleichstellung der Geschlechter anstreben, der Wunsch vorhanden ist, dass Mädchen wie Pippi sind: stark, verwegen, ungehemmt, lustig, rebellisch und unbeeindruckt von Autoritäten.

Die allmähliche Tolerierung solcher Charakterzüge hat dazu geführt, dass viele Mädchen mehr Bewegungsspielraum erhalten haben. Mädchen haben ihre Positionen im Verhältnis zu Jungen ausbauen können, die sich lange in viel größerem Ausmaß wie Rüpel und Rowdys aufführen durften.

Aber paradoxerweise kann auch ein freiheitliches Vorbild wie Pippi dazu benutzt werden, mehr oder weniger unsichtbare Anforderungen an Mädchen zu stellen. Anforderungen, denen auch nicht alle gerecht werden können. Beispielsweise die liebe und nett angezogene Annika, Pippis Freundin und damals ein Mustermädchen. Heute dient Annika häufig als abschreckendes Beispiel – nur weil sie weder forsch noch abenteuerlustig oder die treibende Kraft im Freundestrio ist. „Langweilige Annika“, heißt es. Aber es können ja wohl nicht alle genauso mutig, stark und cool sein wie Pippi?

Mit in über 70 Sprachen übersetzten Büchern ist Astrid Lindgren die meistverkaufte schwedische Autorin. © Foto: Pål-Nils Nilsson/The Swedish Royal Library
Mit in über 70 Sprachen übersetzten Büchern ist Astrid Lindgren die meistverkaufte schwedische Autorin. Foto: Pål-Nils Nilsson/The Swedish Royal Library

Amüsante Lektüre – keine feministische Agenda

Astrid Lindgren hatte wohl kaum eine ausgeprägte feministische Agenda im Kopf, als sie wunderbare Literatur über ein eigenartiges Mädchen und seine beiden Spielkameraden schuf. Nichtsdestotrotz wurde Pippi eine inspirierende Figur im Kampf für die Gleichstellung  und ist Heldin des Tages.

Weltweit sind Mädchen ermuntert worden, Spaß zu haben, sich etwas mehr zu trauen und an ihre Fähigkeiten zu glauben. Anders gesagt spricht vieles dafür, dass Pippi in den letzten 60 Jahren Großes geleistet hat.

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Tiina Meri ist freie Journalistin und Leitartiklerin.

Für den Inhalt dieses Artikels ist allein die Autorin verantwortlich.

Übersetzung: Margaretha Tidén

Klassifizierung: A87TYa


 

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