Der lange Schatten von Salazar
Mit teils schrillen Tönen debattiert Portugal über einzelne Rehabilitierungsversuche für Diktator António Oliveira de Salazar, der das Land bis 1970 mit harter Hand regierte. Im Schatten dieses scheinbaren Comebacks von Salazar machen sich engagierte Bürger und Wissenschaftler für eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit stark: Ist jetzt die Zeit einer ehrlichen Bilanzierung gekommen?
Spanien debattiert derzeit heftig über den rechten Umgang mit seiner Vergangenheit: Das mit der Regierungsmehrheit von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero verabschiedete Erinnerungsgesetz geißelt dort erstmals offiziell die Franco-Herrschaft als Unrechts-Regime. Und so ist auch erstmals der “Pakt des Schweigens” gebrochen, den sich das Land nach dem Sturz der Diktatur verordnete.
Und auch in Portugal gärt es. Denn wie im großen Nachbarland fand eine wirkliche Aufarbeitung des totalitären “Estado Novo” (1933-1974) nie statt. Nachdem die Nelkenrevolution 1974 die paralysierende Diktatur hinwegfegte, musste sich Portugal jahrelang seinen mühsamen Weg in die Demokratie suchen. Später, als das Land auch mit der Perspektive eines Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft wieder in ruhigeres Fahrwasser kam, blieb das Thema Salazar und Diktatur weitgehend unbearbeitet: Portugal richtete den Blick nach vorn. Und so wundert es nicht, dass Umfragen immer wieder zur Erkenntnis kommen, dass junge Portugiesen nur noch über Minimal-Kenntnisse zur Zeit des Estado Novo verfügen.
“Freundlich und liebenswert:” António Oliveira de Salazar im Jahr 1933. Quelle: Wikipedia
Ja, fast schien sogar eine Art Rehabilitation Salazars einzusetzen – manche Medien machten sogar eine Art “Salazar-Mode” aus. Wie anders sind auch die Versuche zu deuten, das Erbe des alten Diktators reinzuwaschen? Da wird in Salazars Geburtsort Vimieiro ein Museum für den “großen Sohn” dieses Ortes geplant – und prompt marschieren an dieser Stelle schon Nationalisten mit hochgestreckten Armen auf. Da melden sich immer mehr alte Salazar-Anhänger zu Wort und behaupten: War doch alles nicht so schlimm – wie erst jüngst Adoptivtochter Maria da Conceição Rita (genannt “Micas”) mit ihrem Erinnerungsbuch “Meine 35 Jahre mit Salazar” (“Salazar war ein angenehmer und liebenswerter Mensch”). Und dann war da natürlich noch dieser Fauxpas, der in ganz Europa für Schlagzeilen sorgte: Die TV-Krönung von Salazar als “größten Portugiesen der Geschichte”.
Es geschah im März diesen Jahres, als der nationale Fernsehsender RTP in einer großen Fernsehshow nach “dem größten Portugiesen” suchte. Das Format stammte von der BBC und lief erfolgreich in fast allen europäischen Ländern. Die Deutschen wählten in der Sendung “Unsere Besten” Konrad Adenauer, die Briten Winston Churchill und die Franzosen stimmten für Charles de Gaulle. Und in Portugal gelangte zum Entsetzen vieler der alte Diktator António Oliveira de Salazar auf den ersten Platz - gewählt von 41 Prozent der Anrufer. Zugegeben: Die Geschichte war unglücklich gelaufen: Erst sah die Redaktion nämlich vor, Salazar überhaupt nicht auf die Liste der Nominierten zu setzen. Als er nach langer Debatte aber doch noch auf den Wahlzettel kam, konnte so manch eine Stimme auch als Trotzreaktion gewertet werden.
Vasco da Gama oder Langstreckenläuferin Rosa Mota hätten es wohl werden sollen – gewählt wurde aber Salazar. Werbeplakat für die Fernsehsendung “Os Grandes Portugueses”.
Aufgeschreckt von den heftigen Reaktionen nach diesem peinlichen Ausgang der Fernsehshow schob die RTP flugs eine repräsentative Umfrage unter den Portugiesen nach, die das Bild wieder etwas zurecht rückte. Ginge es nach dem tatsächlichen Urteil aller Portugiesen (und nicht nur der Anrufer einer Fernsehsendung), so hätte der erste König Portugals, Dom Afonso Henriques, mit 21 Prozent das Rennen gemacht. Salazar ist mit 6,6 Prozent weit abgeschlagen – und liegt sogar hinter dem Dichter Fernando Pessoa.
Die Umfrage zeigt auch: Je älter die Menschen, desto mehr halten sie von Salazar. Würden von den über 60jährigen immerhin noch 11,2 Prozent für Salazar als “größten Portugiesen” stimmen, so täten dies bei den Unter-24-Jährigen lediglich verschwindend geringe 2,2 Prozent. Die Umfrage zeigt noch einen interessanten Trend: Je jünger die Menschen, desto eher stimmen sie für Persönlichkeiten aus der älteren Geschichte Portugals.
Einerseits bedeutet dies: Auf viele Sympathien kann António Oliveira de Salazar im Portugal von heute kaum noch zählen, auch wenn sich seine verbliebenen Freunde immer wieder wortreich in die Debatte einschalten. Andererseits bringt diese Gleichgültigkeit möglicherweise auch eine mangelnde Aufmerksamkeit für die Opfer der Diktatur mit sich.
So merkt Thomas Fischer in der Neuen Zürcher Zeitung an, dass in Portugal zwar heftig über das Salazar-Museum in Vimieiro debattiert wird. Nur wenige Kilometer von Salazars Geburtsort entfernt, in Carregal do Sal, befände sich hingegen die Heimat von Aristides Sousa Mendes. Der Salazar-Widersacher erteilte als portugiesischer Konsul in Bordeaux zehntausenden Opfern des Nazi-Regimes massenhaft Visa – trotz gegenteiliger Anweisungen der Regierung in Lissabon. Doch, so die NZZ: “Obwohl die Regierung vor Jahren schon Mittel für die Einrichtung eines Museums in seinem einstigen Haus bewilligte, verfällt das stattliche Gebäude vor sich hin.”
Aristides de Sousa Mendes: Widersacher von Salazar, der 30.000 Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland Visa erteilte. Quelle: Wikipedia
Genau dafür, die Erinnerung an die Opfer des Estado Novo wach zu halten, kämpft seit ein paar Jahren die Bewegung “Não Apaguem a Memória“. Die rührigen Initiatoren haben in der öffentlichen Debatte schon einigen Staub aufgewirbelt. Und nun wurde sogar ein Gründungsmitglied der Bewegung, die Historikerin Irene Pimentel, in der vergangenen Woche mit dem bedeutenden nationalen Kulturpreis Prémio Pessoa ausgezeichnet.
Mit der Wahl dieser Preisträgerin setzt die Jury des Prémio Pessoa ganz bewusst ein Zeichen in der aktuellen Debatte. In ihren zeitgeschichtlichen Werken setzt sich Pimentel mit den Schattenseiten des Estado Novo auseinander: So ist sie Autorin eines Werks über die Juden, die Portugal während des zweiten Weltkriegs als Durchreiseland nutzten. Und Irene Pimentels jüngstes Buch über die Geschichte der berüchtigten Geheimpolizei PIDE gilt schon jetzt fast als Standardwerk zum Thema – und wird sogar als Grundlage einer Fernseh-Dokumentation dienen.
Mit ihrer Entscheidung für Irene Pimentel will die Jury des Prémio Pessoa ganz offensichtlich die Debatte über das Erbe des Estado Novo in eine neue Richtung lenken. Jurymitglied Mário Soares, einer der großen Politiker von Portugals junger Demokratie nach 1974, gab auch zu, dass er die bisherige Diskussion über den Umgang mit Salazar “sehr unschön”. Und weiter: “Was zählt, ist, dass man weiterhin eine seriöse Forschung über eine dunkle Zeit der portugiesischen Geschichte betreibt, insbesondere über die Geheimpolizei PIDE.”
Und António Barreto, ebenfalls Jurymitglied, ergänzt: “Jetzt ist die Zeit der offenen Abrechnung, was Portugal mit seiner Vergangenheit anfängt.” Eine ganze Reihe von neuen Büchern widmet sich der Aufarbeitung des Estado Novo. Ob die Debatte allerdings auf eine Art spanisches Erinnerungsgesetz hinsteuern wird, ist offen: Zu unterschiedlich sind doch die Ausgangsbedingungen beider Länder. Portugal ist immerhin ein blutiger Bürgerkrieg wie beim Nachbarn erspart geblieben – und so sind möglicherweise die Wunden im Land nicht ganz so tief.
Eins ist jedoch sicher, wie der Kolumnist José Manuel dos Santos im Expresso anmerkt: Eine “Salazar-Mode” gibt es nicht – nur die Mode, eine Salzar-Mode auszurufen. Und das dürfte auch in Zukunft noch öfters passieren.
Dezember 17th, 2007 um 6:11 pm
Das Ergebnis der Abstimmung von RTP war schon recht peinlich.
Einen kleinen Eindruck – wenn es auch ein Krimi ist und sicher geschichtlich nicht authentisch – bekommt man von der Salazarzeit in dem Buch von Robert Wilson “Tod in Lissabon”. Ich habe es verschlungen und für den, der ortskundig ist, ist es sicher ein “Muß”!!!
Ich habe auch “Levantado do Chão” (Hoffnung im Alentéjo) von José Saramago gelesen – aber wenn ich ehrlich bin – er ist nicht mein Fall.
Stattdessen lieber die Lusiaden!!! Aber das ist nun schon wieder Klassik!
März 16th, 2008 um 8:58 pm
Vielleicht ist es von Interesse: Im Berliner Stadtbezirk Treptow wurde am 21. Februar eine Wanderausstellung über das Leben von Aristides de Sousa Mendes eröffnet, die anschließend in den Schulen gezeigt wird.
Dieser große Portugiese ist sehr zu Unrecht in Deutschland fast vollkommen unbekannt.
In Portugal selbst wurde am 19. Februar in einer feierlichen Zeremonie im portugiesischen Parlament ein virtuelles Museum zu seiner Person vom Parlamentspräsidenten Jaime Gama der Öffentlichkeit übergeben.