Remixkultur

Matthias Spielkamp: Remix und Mashup – Wenn nicht sein darf, was doch sein kann

Sprachflagge
Foto: Alexander Janetzko
Matthias Spielkamp. Foto: Alexander Janetzko


Das deutsche Urheberrecht heißt deshalb Urheberrecht, weil es den Urheber als Mittelpunkt hat.

Remix(kultur) ist nicht nur Musik

Die deutsche Wikipedia-Community definiert Remix als „eine neue Version eines Musiktitels auf der Basis des Mehrspuroriginals. Das Konzept des Remix ist vor allem in der Elektronischen Tanzmusik, im Hip-Hop und im Contemporary R&B; verbreitet“ – d.h. sie reduziert den Remix auf die Neuabmischung eines Musikstücks, wie es im Übrigen auch die russische Wikipedia tut. Damit stehen sie im Gegensatz zur englischsprachigen Version, in der darauf hingewiesen wird, dass der Begriff bisweilen auch für die Veränderung anderer Werke verwendet wird, also Film oder Literatur (nicht zu vergessen: Getränke). Es sei die Aneignung, Veränderung und Neukombination bereits existierender Texte, Songs, Gemälde und so weiter. Zwar gibt es in der deutschen Wikipedia auch einen Eintrag zum Remix in der Literatur, aber keinen zum Film.

Ein Eintrag zur so genannten Remix-Kultur fehlt ebenfalls in den deutschen und russischen Versionen der Enzyklopädie. Diese Remix-Kultur sei eine Gesellschaft, so der Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia, die es erlaubt oder sogar ermutigt, abgeleitete Werke zu schaffen, indem vorhandenes Material neu kombiniert wird, um ein neues Werk zu erzeugen. Sie müsste also, per Definition, tolerieren, dass urheberrechtlich geschützte Werke verbessert, verändert, verflochten oder anders „geremixt“ werden. Der US-Rechtswissenschaftler Lawrence Lessig stellt in seinem Buch Remix (2008) eine solche Kultur als ein erwünschtes Ideal dar und argumentiert, dass das Wohl, der Fortschritt und der Reichtum einer Kultur grundlegend mit diesem gemeinsamen Remix-Prozess zusammenhängt.

Two of Arts - 2000, Visual Mashups; Foto: CC_by_2.0 qthomasbower @flickr
Two of Arts - 2000, Visual Mashups; Foto: CC_by_2.0 qthomasbower @flickr

Wir werden später in der Diskussion sicher darüber sprechen, wie überzeugend die Argumente für eine solche Remix-Kultur sind. Ich möchte jetzt kurz beschreiben, wie die rechtliche Situation in Deutschland aussieht, damit Sie eine Vorstellung davon entwickeln können, wo die Hindernisse liegen.

Urheber im Mittelpunkt

Das deutsche Urheberrecht heißt deshalb Urheberrecht, weil es den Urheber als Mittelpunkt hat. Das hört sich trivial an, doch die Bedeutung dieses Ansatzes wird klar, wenn man es mit dem US-amerikanischen Copyright vergleicht. Hier ist nicht der Urheber zentral, sondern das Werk und seine Kopierbarkeit – bzw. das Verbot seiner Kopierbarkeit.

Begonnen hat die Entwicklung des Urheberrechts im Jahre 1710, als die englische Regierung das erste Urheberrechtsgesetz der Geschichte verabschiedet, das Statute of Anne (Anne Stuart war damals Königin). Zum ersten Mal spielt der Urheber darin eine zentrale Rolle. Doch ein Satz führt gerade heute wieder zu erhitzten Diskussionen unter Urheberrechts-Experten: Das erklärte Ziel des Statuts war "Encouragement of Learned Men to Compose and Write Useful Books" - also gebildete Männer zu ermutigen, nützliche Bücher zu schreiben. Und das Mittel dazu war der Schutz der Autorenrechte: Niemand konnte fortan ein Buch nehmen und es ohne Zustimmung des Autors vervielfältigen. Die Rechte der Autoren an ihren Texten waren also Mittel zum Zweck. Die wirtschaftliche Sicherheit der "gebildeten Männer" sollte ein Fundament für die Kreativität schaffen. Nach dem Motto: Wenn ich leben kann von dem, was ich gern tue, dann tue ich es noch lieber. Die Ökonomen nennen das die Anreiz-Theorie.

Vor allem aber: Von Urheberrechten in einem anspruchsvolleren Sinn – etwa dem Recht des Urhebers zur Kontrolle über die Gestaltung und Integrität seines Werks – ist im „Statute of Anne“ noch keine Rede. Die kamen erst mit der Französischen Revolution in die Welt. Menschenrechte waren das große Thema, und die Droits d 'auteur, die Autorenrechte, wurden gleich mit erfunden. "Das heiligste, berechtigtste, am wenigsten anfechtbare und persönlichste allen Eigentums ist das Werk, die Früchte des Denkens eines Schriftstellers“, schrieb Isaac Le Chapelier 1791 in seinem "Report Le Chapelier" an das Revolutionsparlament, aus dem das erste Dekret zum Urheberrecht in Frankreich hervorging. Seitdem ist für die Kontinental-Europäer das Urheberrecht weltlicher Ausdruck eines metaphysischen Bandes, das Autor und Werk untrennbar verbindet.

Diese Idee ist in der Folge in Deutschland vorangetrieben worden von Lessing, Hegel, Kant, Fichte – und der Streit darüber, ob es geistiges Eigentum gibt oder nur ein Kampfbegriff von Lobbyisten ist, um ihre Gewinne zu schützen, tobt heute schärfer denn je. Ich kann auf ihn hier nicht eingehen, obwohl er hochinteressant ist.

Über die Rolle der Öffentlichkeit

Sondern ich möchte auf einen weiteren Satz Le Chapeliers hinweisen, der aus dem selben emphatischen Chapelier-Report entstammt, den ich eben zitiert habe. Chapelier schreibt: "Jedoch ist es ein Eigentum, das in seinem Wesen völlig verschieden ist von anderen Eigentumsarten", denn: "Aus der Natur der Sache heraus ist alles vorbei für Autoren und Verleger, sobald die Öffentlichkeit das Werk durch seine Publikation in Besitz genommen hat."

Das ist ein ungeheuer moderner Satz. Die Öffentlichkeit nimmt ein Werk in Besitz, weil es der Urheber publiziert. Ein Gedanke, der in genau der Wunde bohrt, die uns heute so schmerzt: Was ist die richtige Balance zwischen Freiheit und Kontrolle?

In Deutschland senkt sich die Waagschale seit den Zeiten Kants und Fichtes auf der Seite der Kontrolle, denn nicht zuletzt der Genie-Gedanke des deutschen Sturm-und-Drangs hat dazu beigetragen, das Urheberrecht als absolutes Recht des Schöpfers zu konstruieren, der darüber verfügen kann, wie er will und nur wenige Einschränkungen hinnehmen muss.

So ist jede Verwendung eines Werks nur mit Erlaubnis des Rechteinhabers möglich. Dieser Rechteinhaber muss nicht der Urheber selber sein, denn auch ein Musiklabel kann diese Verwendung gestatten, wenn es sich vom Urheber die Rechte hat übertragen lassen. Es würde hier zu weit führen, die Diskussion zu der Frage darzustellen, ob es einen massiven Interessenskonflikt zwischen den Urhebern selber und den Unternehmen, die seine Werke vermarkten.

Zwar gibt es im deutschen Urheberrecht das so genannte „Recht der freien Benutzung“, doch taugt es nicht dazu, das zu gestatten, was wir unter Remix oder Mashup verstehen, wie mein iRights-Kollege Till Kreutzer in seiner Analyse für den Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) überzeugend argumentiert:

„Die Nutzung eines Werks oder sonstigen Schutzgegenstands ist als freie Benutzung nur dann erlaubt, wenn das neue Werk keine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des § 23 UrhG ist, sondern eine unabhängige Neuschöpfung, ein eigenständiges Werk, darstellt. Grundsätzlich erfordert dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), dass „angesichts der Eigenart des neuen Werkes die Züge des benutzten Werkes verblassen“. „Die dem geschützten älteren Werk entlehnten Züge [müssen] in dem neuen Werk zurücktreten.“ Bleiben die entlehnten Züge des benutzten Werks jedoch in der Neuschöpfung eindeutig erkennbar, liegt generell keine freie Benutzung vor.“

Genau das jedoch ist das Wesen von Remix und Mashup, denn wo das Original nicht mehr zu erkennen ist, handelt es sich um Inspiration, doch es hat keinen Sinn, von einem Remix zu sprechen.

Gadget Mashup, Foto: CC by shokai @flickr
Gadget Mashup, Foto: CC by shokai @flickr

In diesem Sinne ist Deutschland ganz klar eine „permission culture“, eine Erlaubniskultur, um erneut mit den Worten Lawrence Lessigs zu sprechen. In einer solchen Erlaubniskultur gilt der Grundsatz, dass für jede Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks der Rechteinhaber um Erlaubnis gefragt werden muss. Wir erinnern uns an Le Chapeliers Worte: "Aus der Natur der Sache heraus ist alles vorbei für Autoren und Verleger, sobald die Öffentlichkeit das Werk durch seine Publikation in Besitz genommen hat." Nichts ist für das deutsche Urheberrecht weniger wahr als das.

Besonderheiten von Fair-Use-Regelung

Lessig sieht zwar auch die US-Gesellschaft sehr weit fortgeschritten auf genau diesem Weg in eine Erlaubniskultur. Doch gibt es dort mit der so genannten Fair-Use-Regelung wenigstens eine Möglichkeit, flexibler mit der Nutzung bestehender Werke umzugehen. Demnach ist die im Prinzip nur dem Copyright-Inhaber erlaubte Nutzung eines Werkes dann auch anderen erlaubt, wenn sie zum Zweck von Kritik, Kommentar, Berichterstattung, Lehre und Forschung erfolgt. Um zu bestimmen, ob es sich um Fair Use handelt, müssen vier Faktoren abgewogen werden: Wozu die Nutzung dient, wie das genutzte Werk beschaffen ist, im welchem Ausmaß ein Werks genutzt wird, und wie durch die Nutzung die Verwertung oder der Wert des Werkes beeinflusst wird.

Im Zweifel muss ein Gericht diese Abwägung treffen und entscheiden, ob es sich um Fair Use handelt oder nicht. Das macht es möglich, dass in den USA im Prinzip weit weniger oft die Erlaubnis eingeholt werden muss, ein Werk zu nutzen, als in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Daher wird inzwischen vermehrt eine derartige Regelung auch für Deutschland und die EU gefordert.

Genie, Kreativität, Originalität

Ich möchte zum Schluss den Fokus wieder ein wenig weg vom Recht, hin zum Schaffensprozess lenken. Simon Reynolds, ein prominenter britischer Musik-Journalist und Autor, hat vor kurzem für das US-Magazin Slate einen sehr klugen Artikel zum Thema Genie, Kreativität und Originalität geschrieben (der auch auf Deutsch bei ZEIT Online erschienen ist - siehe Link unten). Er geht bestens informiert und belesen auf die Argumente derjenigen ein, die seiner Ansicht nach behaupten, die Konzepte der Originalität und der Innovation seien nicht nur obsolet, sondern immer schon Mythen gewesen“, darunter literarische Weltstars wie Jonathan Lethem und David Shields und Tom McCarthy und viele weitere Intellektuelle.

„Rekreativität“, so Reynolds, „oder die Idee, dass alles auf dieser Erde ein Remix ist (und niemals neu), ist zu einem Glaubensgrundsatz geworden. Diese nicht zu beweisenden Thesen sagen viel mehr über unsere derzeitigen Denkhorizonte und die verzwickte Lage der Kultur aus, als über das Wesen der Kreativität oder die Geschichte der Kunst.“

Und zwar was? „Die sich verbreitende Ideologie der Rekreativität [...] legitimiert nicht nur faules, parasitäres Arbeiten, sondern fordert aktiv dazu auf, indem es diese Form des Arbeitens als cool, zeitgemäß und irgendwie fortschrittlicher darstellt als den kleinbürgerlichen Glauben an die Innovation. Das Rekreativitätsgerede ist Propaganda dafür, sich nicht richtig anzustrengen.“

Und nicht zuletzt: „Unter der heiteren Oberfläche des Rekreativitätsgeredes lauert die Verzweiflung über eine Art innerer Verarmung, als mache uns die Masse kulturellen Materials, das wir sammeln und in uns hineinstopfen, in unserem Inneren nur noch leerer und karger.“

Bis dahin hatte ich den Essay mit großer Freude und großem Gewinn gelesen. Doch hier tappt leider auch Reynolds in das, was ich die Aufmerksamkeitsfalle nenne. Diese Falle besteht darin zu glauben, dass man einer steilen These nur sinnvoll entgegen treten kann, indem man mit Verve das Gegenteil behauptet. Nur so kann man in einer Mediengesellschaft genug Aufmerksamkeit für den eigenen Standpunkt schaffen. Interessanter hätte ich den Versuch gefunden, die Idee der Originalität zu versöhnen mit der Idee, dass ein Remix originell sein kann. Anzuerkennen, dass die Tatsache (wenn es denn eine ist), dass es Genies gibt, es nicht rechtfertigt, dem Inhaber von Urheberrechten nahezu grenzenlose Kontrolle über sein Werk zu gewähren? Anzuerkennen, dass mit dem fundamentalsten Wandel unseres Medien- und Kommunikationssystems seit der Entwicklung des Drucks mit beweglichen Lettern einhergehen muss, dass wir Freiheit und Kontrolle im Umgang mit Werken überdenken.

Das ist offenbar ein Weg, dessen größter Teil immer noch vor uns liegt.

Matthias Spielkamp, Partner beim Think Tank iRightsLab – Strategien für die digitale Welt. Journalist, Gründungsmitglied und Projektleiter von iRights.info. Publikationen zu gesellschaftlichen Aspekten der Digitalisierung in Magazinen und Tageszeitungen, Sammelbänden, online, im TV und Radio. Dozent für Urheberrecht und Journalismus Online sowie Redaktions- und Management-Coach für ARD-ZDF-Medienakademie, DW-Akademie und viele weitere in Deutschland, Asien, Afrika, dem Nahen Osten, Ost- und Südosteuropa. Lehraufträge an verschiedenen deutschen Hochschulen. Sachverständiger in Bundestagsanhörungen zu Urheberrecht, Online-Journalismus und Qualitätsjournalismus, Keynote-Speaker und Podiumsteilnehmer bei nationalen und internationalen Konferenzen wie re:publica, Global Media Forum und anderen. Konferenzkonzeption und -organisation für Goethe-Institut, Auswärtiges Amt, Böll-Stiftung und andere. Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen, Beiratsmitglied bei deutschland.de und Mitglied des American Council on Germany (John J. McCloy-Fellow). MA in Philosophie (FU Berlin), MA in Journalismus (University of Colorado). Ko-Autor: Arbeit 2.0, 2009 (mit V. Djordjevic et al.); Urheberrecht im Alltag, 2008 (mit V. Djordjevic et al.); Schreiben fürs Web, 2003 (mit M. Wieland).



Copyright: Goethe-Institut Russland
Online-Magazin „Deutschland und Russland“
Oktober 2012

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