Museum für Stadtgeschichte
Museum für Stadtgeschichte

Paderborn im Bombenkrieg

Zum 60. Mal jährten sich im Frühjahr 2005 die verheerenden Luftangriffe auf Paderborn am Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Paderborner Innenstadt war als Folge des Bombenkrieges zu über 85 Prozent zerstört, zahlreiche Menschen verloren im Bombenhagel ihr Leben. Mit einer Reihe von Veranstaltungen hat die Stadt Paderborn die Erinnerung an die schlimmste Katastrophe ihrer Geschichte wach gehalten. Die Fassade des Domes erinnert insbesondere an die schweren Bombenangriffe am 17. Januar, am 22. März und am 27. März 1945.

Nachdem mit dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, blieb Paderborn aufgrund seiner geographischen Lage vom unmittelbaren Kriegsgeschehen naturgemäß zunächst verschont. Dennoch war die Bevölkerung von Anfang an und in zunehmendem Maße mit dem Krieg konfrontiert und in ihn eingebunden. Der Raum Paderborn wies eine starke Militärpräsenz auf: Panzertruppen in Paderborn, Kavallerie in Paderborn und Neuhaus, ein sog. Luftpark, eine Nachschub- und Instandhaltungsbasis der Luftwaffe, in Paderborn-Mönkeloh, in Sennelager das große Militärlager des Truppenübungsplatzes Senne. Hinzu kamen in Paderborn und Neuhaus diverse Verwaltungsstellen und sonstige Einrichtungen der Wehrmacht, wie etwa das Heeresverpflegungsamt zwischen Neuhaus und Sennelager und die Heeresmunitionsanstalt Sennelager. Überall zeigte sich starke Betriebsamkeit. Die aktiven Truppenteile wurden aus ihren Kasernen an die Ostgrenze verlegt. Die Einberufung von Reservisten und die Aufstellung von Reserveformationen begannen. Die Eisenbahn - Paderborn lag an einer der wichtigsten deutschen Ost-West-Fernverbindungen und besaß zwei Ausbesserungswerke sowie Ostwestfalens größtes Bahnbetriebswerk - hatte von nun an vor allem die gewaltigen Transportbedürfnisse der Wehrmacht und der Rüstungsindustrie zu befriedigen. Zivile Gebäude wie Schulen, Turnhallen oder auch Krankenhäuser wurden für militärische Zwecke requiriert; Verdunkelungsbestimmungen traten in Kraft, Lebensmittel und Konsumgüter waren nur noch auf Marken bzw. Bezugsscheine erhältlich. Bald trafen Verwundete in den Lazaretten ein und in der Zeitung erschienen Todesanzeigen mit dem Eisernen Kreuz. Aufgrund der Einberufungen zum Kriegsdienst machte sich zunehmend ein Mangel an Arbeitskräften bemerkbar, dem man seit März/April 1940 durch den Einsatz Kriegsgefangener und ausländischer - zunächst noch freiwilliger - Arbeitskräfte und zu begegnen suchte.

Als am 10. Mai 1940 der Angriff auf Frankreich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg begann, nutzte die Luftwaffe den Luftpark Mönkeloh als Einsatzhafen und ließ von hier aus Transportgeschwader zur Westfront starten. Wie schon im Jahr zuvor in Polen kam es auch im Westen zum sofortigen massiven Einsatz der deutschen Luftwaffe. Das britische Kriegskabinett reagierte bereits am 11. Mai mit der Freigabe von Zielen für die RAF im deutschen Hinterland. Am 21. Juni 1940, einen Tag vor Abschluss des Waffenstillstandes mit Frankreich, erlebte dann Paderborn seinen ersten Luftangriff: Vier britische Maschinen griffen den Flugplatz an und verursachten Schäden an den Flugplatzanlagen, in der Siedlung Schöne Aussicht und an der Panzerkaserne. Auch Menschenverluste traten ein, doch sind die Angaben widersprüchlich. Die Quellen sprechen von einem bzw. drei toten Soldaten.

Da Paderborn weder eine Großstadt noch ein Industriezentrum war, galt es als minder gefährdet und war als Luftschutzort II. Ordnung klassifiziert. Das war die mittlere von drei Gefährdungsklassen. Das ländliche Umfeld der Stadt war in die Klasse III eingestuft. Aufgrund des als relativ gering eingeschätzten Risikos gab es nicht genügend wirksame Schutzbauten. Bis Kriegsende entstanden nur drei Bunker, die wirklichen Schutz bieten konnten: der noch heute vorhandene Hochbunker der Bauart Winkel (Winkelturm) auf dem Gelände des Eisenbahnausbesserungswerkes Nord, der vor Jahren beseitigte kleine Luftschutzbunker an der Ecke Abtsbrede / Borchener Straße und der ebenfalls nicht mehr vorhandenen Befehlsbunker auf der Wilhelmshöhe. Die Masse der Bevölkerung war auf Splitterschutzgräben und notdürftig verstärkte Kellerräume angewiesen und somit nur sehr unzureichend geschützt.

Dem Angriff vom 21. Juni 1940 folgte bis Mitte Oktober eine Reihe weiterer kleinerer britischer Angriffe, die sich insbesondere gegen den Flugplatz richteten. Die jeweils nur wenigen Maschinen richteten aber auch Schäden an zivilen Gebäuden an. Das Folgejahr 1941 brachte lediglich vier Angriffe mit überschaubaren Sachschäden.

Mit der Ernennung von Arthur Harris zum Chef des Bomber Command im Februar 1942 verschärfte sich die britische Luftkriegsführung gegen Deutschland. Harris war ein Verfechter des »Moral bombing«, das die Untergrabung der Moral der Zivilbevölkerung durch Flächenbombardements auf Großstädte und Industriezentren zum Ziel hatte - ein Konzept, mit dem die Deutsche Luftwaffe bereits in der für sie so verlustreichen und im Frühjahr 1941 schließlich abgebrochenen sog. Luftschlacht um England gescheitert war und das nun auch in Deutschland nicht nur sein Ziel verfehlte, sondern den Widerstandswillen der Bevölkerung eher stärkte.

In Paderborn blieb es jedoch zunächst weiterhin relativ ruhig. Das Jahr 1942 brachte lediglich einen einzigen Angriff auf die Stadt, der jedoch erhebliche Sachschäden hervorrief. Ein einzelnes Flugzeug zerstörte bzw. beschädigte am Abend des 27. August über 50 Häuser; ca. 100 Familien wurden obdachlos. 1943 ereigneten sich, wie schon 1941, vier Angriffe, darunter ein besonders schwerer mit hohen Menschenverlusten. Am Abend des 16. März luden zwölf britische Mosquitos ihre Bomben auf den Bahnhof und das Ausbesserungswerk Hauptbahnhof ab. 47 Tote, darunter 15 russische Zwangsarbeiter, und zahlreiche Verletzte wurden aus den Trümmern geborgen. Die Eisenbahnanlagen wiesen schwerste Schäden auf.

Seit Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 war ein großer Teil der deutschen Luftwaffe an der Ostfront gebunden, sodass die Briten im Westen allmählich die Luftüberlegenheit erringen konnten. Nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 erhielt die britische Luftwaffe seit Sommer 1942 Verstärkung durch in England stationierte amerikanische Bomberverbände. Diese flogen ab 1943 bei Tag Präzisionsangriffe, während die Briten bei Dunkelheit Flächenangriffe durchführten. Seit 1944 nahmen die Amerikaner auch Paderborn ins Visier. Die Gefährdung der Stadt erhöhte sich deutlich, die Angriffe wurden häufiger. Der schwerste Angriff des Jahres ereignete sich am Vormittag des 19. April, als ein amerikanischer Großverband, die Angaben schwanken zwischen 100 und 200 Maschinen, den mittlerweile als Fliegerhorst deutscher Jäger fungierenden Flugplatz bombardierte, aber auch erhebliche Schäden in der östlichen Innenstadt anrichtete. 40 Tote waren zu beklagen.

Bis zum Beginn des Jahres 1945 hatten alle Luftangriffe auf Paderborn militärischen Einrichtungen und den Eisenbahnanlagen gegolten. Infolge von Zielungenauigkeiten bzw. Fehlabwürfen waren dabei immer wieder in erheblichem Umfang auch Wohngebiete in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Dennoch war die Stadt als solche kein Ziel der alliierten Bomberverbände gewesen. Das änderte sich mit dem 17. Januar 1945. Am Mittag jenes Tages luden ca. 400 US-Maschinen ihre Bombenlast über Paderborn ab und richteten vor allem in der Altstadt, im Südviertel, im Umfeld des Bahnhofs und an der Driburger Straße schwerste Schäden an. Ca. 240 Menschen fanden den Tod. Am 23. Februar und am 10. März, beide Male wiederum zur Mittagszeit, folgten weitere Angriffe amerikanischer Großverbände. In besonderem Maße betroffen waren der Norden vom Maspern- bis zum Schützenplatz, das Bahnhofsumfeld, das Ükernviertel und erneut die Südstadt. Beide Angriffe zusammen forderten etwa 75 Todesopfer. Am 22. März gegen 21.00 Uhr flogen acht britische Maschinen einen Minenangriff gegen die Innenstadt, dem etwa 40 Menschen zum Opfer fielen. Der Dom und zahlreiche andere Gebäude in der näheren Umgebung wurden schwer getroffen.

Der letzte und schwerste Angriff erfolgte am 27. März um ca. 17.30 Uhr durch 270 britische Flugzeuge. Die Schäden waren so gewaltig, dass ihr Ausmaß im Gegensatz zu allen vorangegangenen Angriffen nur noch geschätzt werden konnte. »2.000 Gebäude total zerstört, 500 schwer beschädigt, 700 mittel schwer beschädigt, 400 leicht beschädigt. 1.500 Großbrände, 1.000 mittlere Brände, 500 Kleinbrände, Flächenbrand über dem gesamten Stadtkern« heißt es in den überlieferten Aufzeichnungen der Paderborner Luftschutzleitung. Etwa 350 Todesopfer forderte dieser Angriff. Dass ihre Zahl nicht um ein Vielfaches höher war, war dem Umstand zu verdanken, dass die Bevölkerung nach den vorangegangenen Angriffen die Stadt seit dem 17. Januar zum größten Teil verlassen hatte und zu Freunden und Verwandten in das ländliche Umland ausgewichen war. Welchen Zweck dieser verheerende Angriff verfolgte, ist bisher nicht abschließend geklärt. Möglicherweise sollten damit die - über Paderborn führenden - letzten Verkehrs- und Nachschublinien der deutschen Heeresgruppe B zerschlagen werden, deren Einkesselung im Ruhrgebiet unmittelbar vor dem Abschluss stand.

Als wenige Tage später, am 1. April, Ostersonntag, amerikanische Kampfverbände in die noch rauchende Trümmerwüste einrückten, war Paderborn zu etwa 85% zerstört und damit eine der am stärksten zerstörten Städte Deutschlands. Etwa 900 Menschen, Bürgerinnen und Bürger, deutsche Soldaten, Kriegsgefangene sowie ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter haben zwischen 1940 und 1945 bei den Luftangriffen auf Paderborn ihr Leben verloren.