Das Stasi-Geheimnis der Hotelchefin Uta Felgner

Uta Felgner beherbergte zur Fußballl-WM 2006 die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Berliner Schlosshotel im Grunewald. Zuvor hatte sie den VW-Skandal ins Rollen gebracht. Recherchen der „Welt am Sonntag“ belegen jetzt: Uta Felgner wurde einst als Top-Agentin der Stasi geführt.

von Uwe Müller und Dirk Banse

Es war ein Sommermärchen. Die Nationalelf nahm 2006 im Schlosshotel im Grunewald ihr Quartier, und eine ganze Weltmeisterschaft lang war Uta Felgner die prominenteste Herbergsmutter der Republik. Das von ihr geleitete Fünf-Sterne-Haus, in Berlins feinster Gegend gelegen, wurde von Fans und Journalisten belagert. Die Direktorin musste als „Klinsis Schlossherrin“ ein Interview nach dem anderen geben.

Für die gelernte Krankenschwester aus der DDR erfüllte sich ein Lebenstraum. Felgner hatte den Weg in die feine westliche Gesellschaft gefunden. Eine neue Ost-West-Erfolgsgeschichte war geschrieben. Ein halbes Jahr nach der WM beschrieb sie in einem Zeitungsbeitrag ihre Gefühle: „Dieser Sommer ist mit nichts vergleichbar.“ Ihr seien die Spieler ans Herz gewachsen, ihnen habe sie jeden Abend einen Brief aufs Bett gelegt: „Und eine kleine Überraschung.“

Eine große Überraschung fand sich nun nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ in Unterlagen der Birthler-Behörde. Die Frau, die Berühmtheiten aus aller Welt kennt, die schon Woody Allen und Roman Polanski, Henry Kissinger und Jean-Claude Juncker, Vitali Klitschko und Uwe Seeler als ihre Gäste begrüßt hat, wurde vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als Top-Agentin der Spionageabwehr geführt. In der Schattenarmee von fast 190.000 Inoffiziellen Mitarbeitern, die der DDR-Geheimdienst unterhielt, galt die unter dem Decknamen IM „Schmidt“ registrierte Felgner bis zu ihrer Verhaftung wegen Geheimnisverrates als nachrichtendienstliches Juwel. Den Dokumenten zufolge hatte sie mit „frauenspezifischen Methoden“, wie das im Stasi-Jargon hieß, Kontakte zu einflussreichen Männern hergestellt.

Sowohl westliche Geschäftsleute als auch ranghohe SED-Funktionäre vertrauten der attraktiven Frau demnach so manches delikates Geheimnis an. Dieses Wissen elektrisierte selbst Mitglieder von Erich Mielkes Tafelrunde. Generalleutnant Günther Kratsch, Chef der Spionageabwehr und Mitglied des Kollegiums des MfS, notierte: „IM ‚Schmidt‘ unterhält aktiv zahlreiche persönliche Verbindungen zu den verschiedensten Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens und verfügt über Detailkenntnisse aus deren Privatleben.“

Die Stasi war hochzufrieden, wie eine Beurteilung zeigt: „Durch IM ,Schmidt‘ wurden zahlreiche operativ wertvolle Informationen erarbeitet.“ Der Geheimdienst verhielt sich für damalige Verhältnisse generös. Einmal seien ihr beispielsweise „10.000 Mark vom MfS zum Kauf eines Autos zur Verfügung gestellt worden“, notierte Felgner handschriftlich.

Sie wollte unbedingt in die Bundesrepublik

Das exotische Leben der Frau endete 1986 kurz nach ihrem 35. Geburtstag. Felgner lernte die andere Seite des Geheimdienstes kennen und kam ins Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Das MfS fühlte sich von ihr getäuscht und hintergangen. Der Grund: Felgner wollte unbedingt in die Bundesrepublik. Ihrem Führungsoffizier bot sie an, so ist es jedenfalls in Stasi-Papieren vermerkt, im „Operationsgebiet“ als Doppelagentin tätig zu werden. Die Antwort der Stasi: ein kategorisches „Nein“. Daraufhin erwog Felgner, heimlich in den goldenen Westen zu fliehen. Das flog auf.

Nicht nur sie verlor vorübergehend die Freiheit. Auch ihr damaliger Geliebter, der West-Berliner Geschäftsmann Hans Sch., wurde verhaftet. Als er nach der Leipziger Herbstmesse die DDR verlassen wollte, fanden Grenzer in seinem BMW-Cabrio Wertgegenstände und einen großen Geldbetrag, den er für Felgner außer Landes bringen wollte. Zudem beschlagnahmten sie einen von ihr geschriebenen Brief, in dem brisante Informationen über DDR-Geheimnisträger festgehalten waren. Dieses Schreiben sollte als Rückversicherung dienen – für den Fall, dass Felgner in der DDR Probleme bekäme.

Wie seine Ost-Freundin Uta wurde Sch. vor das Ost-Berliner Militärgericht gestellt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Ende 1987 kamen beide vorzeitig frei. Eine Enttäuschung erlebte Sch., als er bei der Birthler-Behörde Akteneinsicht erhielt: „Dass meine Bekannte laut den mir zur Verfügung gestellten Dokumenten selbst eine Inoffizielle Mitarbeiterin des DDR-Geheimdienstes war, hatte sie mir verschwiegen.“

„Wir haben nach West-Männern Ausschau gehalten“

Verwundert rieb sich Sch. die Augen, nachdem er sich einen von der Unterlagenbehörde herausgegebenen Stasi-Lehrfilm „Wer ist wer?“ angeschaut hatte. Darin ist er selbst mehrfach zu sehen – und es wird der Werdegang eines weiblichen Stasi-Lockvogels gezeigt, IM „Eva“ genannt. Die biografischen Eckdaten der in dem Streifen gezeigten Frau stimmen mit jenen von Uta Felgner überein.

Sch. erklärt: „Bei der in dem Film mehrfach eingeblendeten Frau handelt es sich um meine frühere Bekannte Uta.“ In dem Film wird die Agentin als „äußerst kontaktfreudig und selbstsicher auftretend“ charakterisiert. Das habe es ihr leicht gemacht, „zu materiell gut gestellten männlichen Personen“, insbesondere aus dem Westen, „Kontakte und Intimbeziehungen“ herzustellen. Weiter heißt es: „Stets gepflegt und sehr modern gekleidet, verfehlte ihr attraktives Äußeres dabei seine Wirkung nicht.“

Eine damalige Bekannte von Uta Felgner berichtet: „In Devisenhotels wie dem ,Metropol‘ oder dem ,Palasthotel‘ in Berlin sowie während der Leipziger Messe haben wir nach West-Männern Ausschau gehalten und sind mit ihnen auch ins Bett gegangen. Auch im Haus von Uta in Berlin-Kaulsdorf war einiges los. Wir hatten dadurch ein interessantes Leben und konnten dem Alltag entfliehen.“ Felgner, 1951 in Weißenfels geboren, war 1973 nach Ost-Berlin gezogen. Dort übte sie alle möglichen Berufe wie Serviererin, Verkäuferin, Exportbearbeiterin, Gebäudewirtschafterin oder Kosmetikerin aus.

Ihr Leben änderte sich radikal, als sie Mitte der 70er-Jahre eine der schillerndsten Figuren des Arbeiter-und-Bauern-Staates kennenlernte: den Generaldirektor Günther Asbeck, dessen Firma Asimex die SED-Oberen in der Bonzensiedlung Wandlitz mit edler Westware versorgte. Der stets weltmännisch auftretende Zweieinhalbzentnermann trug an Felgner einen speziellen Wunsch heran, wie die Stasi rekonstruierte. „Er benötigt eine Partnerin zum Repräsentieren, Essen, Ausgehen mit Geschäftspartnern der Firma Asimex und anderen Verbindungen. Sie müsste immer für ihn da sein, wenn er sie braucht.“ Uta Felgner ließ sich laut Akte und Aussage ihrer früheren Bekannten nicht zwei Mal bitten und wurde seine Geliebte.

Im Herbst 1981 setzte Asbeck sich in den Westen ab. Er lieferte dem Bundesnachrichtendienst Beschreibungen zu etwa 100 Spitzenfunktionären in SED, MfS und DDR-Tarnfirmen. Kompromittierende Details über diese Personen hatte er, so sagen es die Dokumente, zuvor seiner Gesellschaftsdame anvertraut. In einem später von der Stasi abgefangenen Brief schrieb Felgner, sie habe dadurch „die Korruption von Ministern und Staatssekretären bis hin zu leitenden Mitarbeitern mitbekommen“.

Ihr Wissen nutzte Felgner offenbar aus. Monate vor der Flucht ihres Förderers Asbeck, der ihr ein Auto zur Verfügung gestellt und ein Luxusleben im tristen Realsozialismus ermöglicht haben soll, verriet sie diesen laut Aktenlage „mit dem Ziel der Erlangung materieller Vorteile“ an die Stasi. Ein Vertrauensmissbrauch? „Asbeck hätte sie nach ihren Worten sofort fallen gelassen, wenn er über ihre Zusammenarbeit mit dem MfS Kenntnis erhalten hätte“, notierte der Führungsoffizier von Felgner. Mit dem Stasi-Vorwurf konfrontiert, sagte Felgner der „Welt am Sonntag“, sie habe „an die Anfangszeit ihrer Tätigkeit keine genaue Erinnerung mehr“.

1981 die vierte Heirat

Eine Gedächtnisstütze sind die Birthler-Dokumente. Rund 3000 Seiten aus der Geheimen Ablage des MfS sind dem Vorgang Felgner gewidmet. Dort ist festgehalten, dass sie sich „am 1.8.1980 in der Anmeldung des MfS als Selbstbewerber“ gemeldet haben soll. An der Stasi-Pforte soll sie ihre Kenntnis über westliche Geschäftsleute angeboten haben. Laut Aktenlage wartete der Geheimdienst zunächst ab und führte Mitte Oktober 1980 das erste Kontaktgespräch. Im April 1981 soll die Kandidatin verpflichtet worden sein.

Felgner sagte nach ihrer Festnahme: „Schließlich habe ich mich aus eigenem Antrieb dem MfS zur Verfügung gestellt.“ Über die Kontaktaufnahme sagte sie später aus: Bei der „Telefonnummer 5593392 handelt es ich um den Anschluss, den ich im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit dem MfS benutzt habe. Bei den Namen Pohl und Bethke handelt es sich um die Namen meiner Führungsoffiziere vom MfS und der Name ,Schmidt‘ war mein Deckname.“

Im Oktober 1981 heiratete Felgner zum vierten Mal. Als sie herausfand, dass ihr Ehemann ebenfalls für das MfS arbeitete, war sie laut Aktenlage empört. Der Gatte sollte unter falscher Identität Schleuserorganisationen aufklären. Im Gefängnis erklärte Felgner, sie sei von ihrem Mann „auf sogenannten Urlaubsreisen zur Kontaktaufnahme benutzt“ worden. Heute sagt sie, angesichts bedrückender Haftumstände (zeitweise mit zwei minderjährigen Mörderinnen in einer Zelle) habe sie „alles unterschrieben, was mir im Stasi-Gefängnis vorgelegt wurde“.

Aus den der „Welt am Sonntag“ vorliegenden Unterlagen der Birthler-Behörde arbeitete Felgner während ihrer Haft unter anderem in der Bibliothek und betreute eine Patientin im Haftkrankenhaus. Skurril mutet an, dass sie im Gefängnis damit gedroht haben soll, MfS-Geheimnisse zu verraten. Weiter heißt es in einem Vermerk, Felgner habe sich darüber beschwert, „sie sei nicht in der Lage, ihre Fingernägel zu pflegen“.

Vor einiger Zeit beschrieb Uta Felgner ihre Erfolgsstrategie so: „Man muss auch selbstbewusst seine Ziele verfolgen, ohne seinen weiblichen Charme zu verlieren.“ Jungen ambitionierten Frauen rät sie, weniger nachzudenken und mehr Mut zu haben, einfach auszuprobieren. Mit dieser Philosophie kam sie nicht nur in der DDR, sondern auch im Westen sehr weit.

Rasch wohnt sie gut situiert im Grunewald, laut einem Pressebericht macht sie ihr Diplom als Betriebswirtin und arbeitet eigenen Angaben zufolge zunächst als Unternehmensberaterin. Außerdem jobbt sie als Verkäuferin bei der Schneider Automobile GmbH. Laut Handelsregister wird Felgner dort 1993 Geschäftsführerin, die GmbH-Anteile übernimmt sie später von den Eigentümern in zwei Tranchen zum stolzen Preis von 250.000 D-Mark. Und wie im Osten hält sie Kontakt zur feinen Gesellschaft – etwa beim Golf- und Tennisspiel, bei Kochabenden, auf Veranstaltungen des Rotary-Clubs sowie bei festlichen Empfängen.

Hauptrolle in dreiteiliger Doku

Felgner wird sogar Mitglied des erlesenen Beirates der Berliner Investitionsbank, in dem sie mit gleich drei Wirtschaftssenatoren der Stadt in Berührung kommt: mit dem Christdemokraten Wolfgang Branoner sowie den Linken Gregor Gysi und Harald Wolf.

Nach ihrem Aufstieg zur Chefin des „Schlosshotels“ im Grunewald wechselt sie im Sommer 2007 nach Hamburg und dirigiert bis zum Frühjahr dieses Jahres das Fünf-Sterne-Superior-Haus „Grand Elysée“ mit 511 Zimmern und 300 Mitarbeitern. Weil sie auch in dieser Position gute Figur machte, engagierte sie der NDR im vergangenen Jahr für die Hauptrolle in der dreiteiligen Doku-Reihe „Retten Sie unser Hotel! – Ein Fall für Hotel-Expertin Uta Felgner“. Mittlerweile wohnt sie in der Schweiz, ihr Partner ist ein Unternehmer.

Wer so durch das Leben schreitet, genießt offenbar automatisch Vertrauen und muss sich keine unbequemen Fragen stellen lassen. In kaum einem Bericht über Felgner fehlt der Hinweis, dass sie ihre Nachwendekarriere als erfolgreiche Geschäftsfrau im Autohandel gestartet habe. So ganz stimmt das nicht. Denn just zu dem Zeitpunkt, als Felgner zur Hotelchefin aufstieg, ging ihre Firma pleite. Die Kanzlei des Zwangsverwalters teilt jetzt auf Anfrage mit: „Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, Frau Felgner zahlt Raten an uns, so, wie sie kann.“ Laut Uta Felgner wird das Verfahren in den nächsten Tagen abgeschlossen, dann seien alle Verpflichtungen beglichen.

An Zufall mag man kaum glauben

Uta Felgner weiß ihre Geheimnisse zu hüten – heute wie damals. Kurz vor ihrer Freilassung aus dem DDR-Gefängnis gab sie am 30. November 1987 eine handschriftliche Erklärung ab und versprach, „dass ich über meine Zusammenarbeit mit dem MfS auch nach meiner Entlassung aus der Haftanstalt strengstens Stillschweigen bewahren werde“. Im Mai 1988 wird auf der IM-Kartei von Felgner wieder ein Offizier der Spionageabwehr eingetragen.

Das könnte für ein Aufleben der Zusammenarbeit sprechen, beweisen lässt sich das nicht. Felgner erklärt, sie habe nach Haftende nur einmal Stasi-Besuch bekommen. Ihr seien dabei Repressalien angedroht worden. Mysteriös bleibt, warum sie sich bald nach ihrer Freilassung „Uta Thiele“ nannte. Mit einer neuen Heirat hatte dies nichts zu tun. Ihr damaliger Lebensgefährte sagt, sie habe seinen Nachnamen als Künstlernamen verwendet. Das bestätigt Felgner auf Anfrage.

Vor dem Hintergrund dieser Biografie mag man kaum an einen Zufall glauben, dass ausgerechnet Uta Felgner es war, die den VW-Skandal ins Rollen brachte. Im Sommer 2005 beschwerte sich die damalige Hotelchefin in der VW-Zentrale über den Angestellten Klaus-Joachim Gebauer. Der Personalmanager, der Betriebsräte auf Firmenkosten ins Rotlichtmilieu führte, war schon einige Zeit zuvor durch einen anstößigen Auftritt im Barbereich aufgefallen. Damit begann jener Wirtschaftskrimi um Macht, Freudenmädchen und Korruption, der Vorstandsmitglied Peter Hartz den Job kostete. Felgner zeigte sich später überrascht, welche Folgen ihre Meldung nach sich zog: „Es war nicht meine Absicht, einen Skandal auszulösen.“

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