Charité Programm ‚Kein Täter werden‘ zeigt erhebliche wissenschaftliche Mängel

13.04.2015: netzwerkB Pressemitteilung

Die deutsche Dunkelfeld Studie – das mittlerweile fast bundesweite Präventionsnetzwerk ‚Kein Täter werden‘ mit namhaften Sponsoren (u.a. Volkswagenstiftung) ist wissenschaftlich gesehen eher zweifelhaft.

So argumentiert Andrej König – Experte in Methodenlehre und Forensischer Psychologie an der Fachhochschule Dortmund – dass die Studie von Prof. Beier schwere methodologische und konzeptionelle Fehler aufweist. [1]

Die Ergebnisse nach nur 12 monatiger Laufzeit – ein Zeitraum, der für eine Prognose von Langzeiteffekten zu kurz ist – seien nicht wertig, da entgegen dem anerkannten wissenschaftlichen Standard der Präventionsforschung die Zahl der Abbrecher nicht miteinbezogen wurde. Mit 56,4% (180 Teilnehmer, die die Therapiemassnahme gleich zu Beginn ablehnten oder vorzeitig abbrachen) von 310 Bewerbern ist diese aber recht substantiell.

Zudem hat die forensisch-kriminologische Forschung gezeigt, dass gerade unter Abbrechern die höheren Rückfallquoten zu finden sind.

König kritisiert weiterhin, dass die Auswahl der Wartekontrollgruppe nicht wissenschaftlich fundiert ist, was wiederum die Vergleichsergebnisse mit der Therapiegruppe belanglos macht.

Der ‚Erfolg‘ der Therapie wurde durch Selbstaussagen der Teilnehmer zu einer Serie von Risikofaktoren gemessen und zeigte bis auf eine moderate Verbesserung der Empathie-Werte keine wirklich überzeugenden Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe von Teilnehmern der Therapie.

Die Forscher betonen, dass keiner der Teilnehmer laut Selbstaussagen strafrechtlich auffällig geworden sei, verzichteten aber auf jegliche Bemühung, dies in irgendeiner Form nachzuprüfen.

Zusammenfassend stellt König fest, dass die Ergebnisse der Dunkelfeldstudie widersprüchlich sind und daher keine Aussagen erlaubt, ob die durchgeführte primär präventive Therapie die Wahrscheinlichkeit von sexueller Gewalt gegen Minderjährige erhöht, reduziert oder unbeeinflusst lässt.

Eine Selbstevaluation der Therapiemassnahmen durch die anbietende Institution lege zudem immer auch die Vermutung eines Interessenkonfliktes nahe.

Diese Sachlage macht  eine wissenschaftliche Prüfung der Beier’schen Studie und eine öffentliche Diskussion darüber was sinnvolle und effektive Prävention sein könnte zwingend. Ein blindes Folgen von medienwirksamen Feststellungen verpasst den gesellschaftlichen Auftrag des Schutzes von Kindern.

[1] Andrej König,  „Kein Täter werden“ – Keine Effekte?

Weitere Informationen:
Projekt „Kein Täter werden“ – Wissenschaftler kritisch hinterfragen

Für Rückfragen:
netzwerkB – Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V.
Telefon: +49 (0)4503 892782 oder +49 (0)160 2 13 13 13

9 Kommentare

  1. eliana schreibt am :

    Das Charité-Programm steht auf tönernen Füßen. Gut nachvollziehbare wissenschaftliche Kritik von A. König/FHS Dortmund!

  2. Endlich fängt auch in der wissenschaftlichen Community öffentliche Kritik an „kein-Täter-werden“ an. Hoffen wir, dass dieses Projekt jetzt bald auf die ihm zukommende Bedeutung reduziert wird. Gratulation zu dem schnellen Mitbekommen des gerade erst erschienenen Artikel von Andrej König.

    Weiterhin viel Erfolg

    Thomas Schlingmann
    Tauwetter

  3. Falls hier auf dem Blog noch nicht behandelt: Ein Artikel im renommierten „Science“ fragt, ob die Neigung zu sexueller Gewalt an Kindern zu 40 % genetisch wäre (was ja nichts entschuldigen, aber den Blick präzisieren könnte)? In jedem Fall aber seht fest, was noch wichtiger sein dürfte: „Most studies point to early life experiences, such as childhood abuse, as the most important risk factor for becoming a perpetrator of abuse in adulthood.“ Das war MIR bisher als so klarer Stand der Wissenschaft noch nicht bekannt. Darüber würde man gerne einmal einen Überblicksartikel lesen.

  4. Angela E. schreibt am :

    Der Mensch ist ein aggressives Wesen, da sind 40 % relativ wenig, Selbsterkenntnis könnte helfen, Selbst-Reflexion, in Verbindung mit einem klaren und emphatischen Menschverstand.
    Junge Mitmenschen seelisch kaputt gemachen ist wenig hilfreich und nicht effektiv für die Gemeinschaft, daher würde ich vermuten, wir stecken noch in der geistig seelischen Früh-Entwicklung fest. Das Wettbewerb und Konkurrenz-Denken scheint in unserem Stammhirn verankert zu sein und löst sich wohl nicht, auch nicht auf.

    Genetisch bedingt, ja klar, einen Grund finden wir doch immer, um Ausreden nicht verlegen die Akademiker dieser Welt. Meine Meinung!

    Würden wir uns bemühen unsere Kinder zu gegenseitigem Respekt und Achtung zu erziehen, aber das ist ja offenkundig „altmodisch“ geworden, nicht mehr zeitgemäß.

    Prof Gerhold Hüther könnte helfen, oder Dr. Gunther Schmidt, Ambivalenzen. Nachdenken ist wohl zu anstrengend in diesen modernen Zeiten.

    Nur ein paar Gedanken dazu…

  5. Beate Lindemann-Weyand schreibt am :

    Gewalt erzeugt Gewalt. NIcht jeder richtet diese gegen andere. Oftmals wird sie gegen sich selbst gerichtet. Der gesunde Menschenverstand und die hochmoderne Traumaforschung sagt aus, dass sexuelle Gewalt auch sexuelle Gewalt erzeugen KANN, und auf MANCHE Opfer auch die extreme Auswirkung einer sogenannten „pädophilen“ Ausrichtung bewirken kann. Diese Ausrichtung ist aber nichts anderes als die Kultivierung von sexueller Gewalt. Ich halte es für unverantwortlich hier eine Krankheit inszenieren zu wollen, und Menschen darauf festzulegen. Es ist doch schrecklich, dass die Charite z.B. schon Jugendliche darauf festlegen will, dass sie pädophil „erkrankt“ seien, anstatt zu schauen, woher das wirklich kommt und womöglich an ihnen begangene Verbrechen aufzudecken, die sie, wie viele viele andere Betroffene(auch die vielen NICHT sogenannten Pädophilen) VERDRÄNGT haben. Es ist doch logisch, dass man diese Ursachen nicht findet, wenn man nicht danach fragt, sondern glauben machen möchte, da wäre jemand krank! Gerade bei Jugendlichen besteht doch große Hoffnung, dass sie nach Übergriffen durch intensive Traumatherapien und eindeutige und konsequente Wertevermittlung eben NICHT so werden wie ihre Täter!! Hier nur das Beispiel der Traumatherapien am von Haunerschen Kinderspital(Dr. Karl-Heinz Brisch), sehr lange stationäre Therapien für Kinder, die Schlimmstes erlebt haben und dort wieder lernen, dass das nicht die Normalität ist!!! Es wird in den „regulären“ Therapien und in der Forschung immer noch die Traumaforschung ausgespart. Warum? JEDER extrem gequälte, überwältigte junge Mensch kann Täterintrojekte entwickeln- diese helfen ihm zu überleben. Manche von ihnen haben das Pech, dass sie durch schrecklichste Umstände, und NULL Wertevermittlung das an ihnen Begangene positiv umdeuten, und selbst NIEMALS lernen, dass das was ihnen verübt wurde UNRECHT ist. Sie werden selbst zu Tätern. Man muss diesen Kindern und Jugendlichen HELFEN, denn es lässt sich ändern! Aber ganz sicher nicht mit der Idee sie seien krank und pädophil, geboren. Was für eine Schrecklichkeit! Was man mit erwachsenen sogenannten Pädophilen macht, ist und bleibt leider die große Frage- aber ein erster Schritt ist sicherlich aufzuhören so zu tun als seien sie arme Kranke. Es sind Menschen, die Verbrechen im Sinn haben und keine harmlosen Phantasien!

  6. Angela E. schreibt am :

    aber ein erster Schritt ist sicherlich aufzuhören so zu tun als seien sie arme Kranke. Es sind Menschen, die Verbrechen im Sinn haben und keine harmlosen Phantasien!

    Es ist eine „moderne und innovative Art des Missbrauches“, eine Weiterentwicklung, im Sinne „Du sollst nicht merken“! Was muss eigentlich noch alles passieren?

    Einzige mir stimmige Erklärung, die Täter sind TÄTER, sind Wölfe, und die gehören zum Club. Darum bemüht sich die Wissenschaft in einer sehr merkwürdigen Art und Weise, um Ausreden nie verlegen. Ganz im Gegensatz zu den Opfern dieser Gewalt müssen diese Täter keine Verantwortung tragen, es ist vollkommen unverständlich, eine andere Welt, ein anderes Universum?? Ein anderes WERTE-System? Braucht diese Wissenschaft eigentlich das dienern dieser Täter für ihr eigens EGO?

    Die Psycho-Analyse hat noch viel zu tun um sich selbst auf die Schliche zu kommen!

    Ja, es ist eine Kultivierung der Inszenierung, der Übertragung, eine Perversion der Macht, der Mächtigen, der Einflussreichen, niemand hindert diese, wie auch. Ähnlich dem Beispiel des Super-Pädagogen Becker in der Odenwald-Schule, von allen bewundert, unangreifbar, WER hätte ihn hindern können? Von der Politik geliebt und wie eine Monstranz voran getragen, ein effektives Schutzschild, für jeden der sich in seinem Dunstkreis bewegte. SO GEHT MISSBRAUCH – im Rudel – nonverbale Eingikeit!!!

    Verantwortung für das eigene Handeln ist wie gemeint? Eines ist klar, HEILUNG ist es nicht das diese Gesellschaft im Sinn hat. Es sind zu wenige die sich empören.

  7. Ich sehe grade, dieselbe Autorin des von mir zitierten Artikels hat in demselben Wissenschaftsmagazin „Science“ kurz zuvor genau jenen Bericht gegeben, nach dem ich oben gefragt hatte:

    Emily Underwood: Measuring child abuse’s legacy. In: Science, 27. March 2015, Vol. 347 no. 6229 p. 1408 DOI: 10.1126/science.347.6229.1408
    http://www.sciencemag.org/content/347/6229/1408.full

    Der dazugehörige Forschungsartikel erschien in derselben Ausgabe:

    Cathy Spatz Widom, Sally J. Czaja, Kimberly A. DuMont: Intergenerational transmission of child abuse and neglect: Real or detection bias? In: Science 27 March 2015: Vol. 347 no. 6229 pp. 1480-1485 DOI: 10.1126/science.1259917
    http://www.sciencemag.org/content/347/6229/1480.full

    (falls nicht frei zugänglich, kann ich Kopien beider Artikel zur Verfügung stellen)

    Das wesentliche Ergebnis ist: Menschen, die „nur“ Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit erfahren haben, haben keine erhöhte Wahrscheinlichkeit, selbst wieder als Erwachsene Täter zu werden. Bei Menschen jedoch, die entweder „sexuelle Gewalt“ erfahren haben oder allgemeine Vernachlässigung („neglect“), ist die Wahrscheinlichkeit, als Erwachsene selbst wieder Täter zu werden, verdoppelt.

    Aus dem erstzitierten Artikel:

    „CPS reports of sexual abuse were filed for 3.4% in the control group and 7.7% in the abused group; the figures for neglect were 9.5% in the control group and 18% in the abused group.“

    Zu Deutsch:

    Für die untersuchte Kontrollgruppe (also „Normalbevölkerung“) gab es 3,4 % Berichte von Vorkommen von sexuellem Mißbrauch an die US-Kinderschutzbehörde, während es in der untersuchten Gruppe von schon als Kind mißbrauchten 7,7, % waren, die als Eltern wiederum ihre Kinder mißbrauchten. (Dabei ist zu beachten, dass diese Eltern das zumeist nicht selbst an die Wissenschaftler berichtet haben, sondern das meist erst von ihren Kindern, die inzwischen 22 Jahre alt sind, berichtet, bzw. bestätigt wurde.)

    Für Vernachlässigung/Zurückweisung gelten die entsprechenden Zahlen 9,5 und 18 %.

    Daraus ergeben sich natürlich mancherlei Schlußfolgerungen. Allerdings werden von den Wissenschaftlern noch mancherlei Vorbehalte gemacht, dass diese Zahlen als endgültige angesehen werden können, da noch viele Unsicherheiten mit einfließen (wer berichtet was an die US-Kinderschutzbehörde? was wird nicht berichtet etc.).

    Es dürfte sich bei diesen Zahlen aber schon einmal um grobe Annäherungen an die tatsächlichen Sachverhalte handeln.

    Inwieweit das in den selben Prozentsätzen auch für Menschen gilt, die generationenübergreifenden RITUELLE, sexuelle GEWALT erleiden und ausüben (nach Umfragen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 10 % aller Menschen, die heute in Deutschland psychotherapeutisch behandelt werden!!!), ist in dieser Studie nicht behandelt. Darauf müßte also sicherlich noch einmal besonders das Augenmerk gerichtet werden, zumal die Kreise, in denen derartiges vorkommt, wie wir immer besser verstehen, unsere Politik sehr stark mitbestimmen (siehe Minister in der Thatcher-Regierung etc.).

  8. hildegard schreibt am :

    … Minister der Thatcher-Regierung verließen sich damals aufs Tabu. England hat keine Verjährungsfristen wie wir. Das Tabu ist weg. Es kann aufgeklärt werden. Wird aufgeklärt?

    Hier muss die Justiz erst einmal aufgeweckt werden, damit sie merkt, wie sehr sie sich mit ihren falschen Gesetzen abhängig gemacht hat und damit handlungsunfähig geworden ist – von wem auch immer …

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