ZIP 1991, 62

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 0723-9416 Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZIP 1991 ZIP-Report

Die Reprivatisierung der zwischen 1949 und 1972 in der DDR enteigneten Unternehmen

Die Frage der Reprivatisierung enteigneter Grundstücke und Unternehmen hat, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 11.12.1990 – BvR 1170/90, 1174/90 und 1175/90 (vgl. zip-aktuell A 1 Nr. 1) – den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Rückgängigmachung von Enteignungen in der ehemaligen DDR zwischen 1945 und 1949 abgelehnt hat (im Hauptverfahren wird am 22.1.1991 verhandelt werden), besondere Aktualität gewonnen. Der nachfolgend abgedruckte Beitrag befaßt sich mit der Reprivatisierung von in der Zeit zwischen 1949 und 1972 enteigneten Grundstücken und Betrieben. Er ist die Kurzfassung eines von dem Verfasser als zuständigem Abteilungsleiter des Bundesjustizministeriums am 15.12.1990 in Chemnitz vor der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer, Landes: verband Sachsen, gehaltenen Vortrages.

I. Entscheidung

Nach der spektakulären Enteignung nahezu aller Banken, Versicherungen, Großunternehmen und Güter in der sowjetischen Besatzungszone unmittelbar nach dem Kriegsende blieb den ZIP 1991, 63Missionaren einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung doch noch ein hartes Stück Arbeit – nämlich die Beseitigung des selbständigen gewerblichen Mittelstandes. Anfang der 50er Jahre wurde zwar schon ein großer Teil dieses Pensums erledigt, aber erst im Jahre 1972 hat die kommunistische Staats- und Parteiführung mit einer letzten Großaktion ihr Ziel erreicht – die vollständige Sozialisierung, der nur die teilweise bis zuletzt geduldeten kleinen Handwerksbetriebe und Einzelhandelsgeschäfte entgingen. Auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des DDR-Ministerrats vom 9. Februar 1972 wurden binnen weniger Monate etwa 12 000 „Betriebe mit staatlicher Beteiligung“ in Volkseigentum übergeleitet. Damit verloren mittelständische Unternehmer, die in den Jahren zuvor meist nur unter erheblichem Druck den Staat als Teilhaber aufgenommen hatten, ihre Betriebe endgültig.
Es ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, diese Betriebe ihren Eigentümern zurückzugeben, soweit es nur irgendwie möglich ist. Wer von dem unternehmerischen Mittelstand einen mitentscheidenden Beitrag für die Wiederbelebung der Wirtschaft im Gebiet der ehemaligen DDR erwartet, kann nicht allein auf eine Welle von Neugründungen vertrauen, sondern muß vor allem auch das unternehmerische Potential derjenigen nutzen, die bis 1972 eigenverantwortlich als Unternehmer tätig waren. Viele von ihnen sind heute bereit, von neuem tätig zu werden. In anderen Fällen treten ihre Kinder an ihre Stelle.
Dies wurde übrigens schon sehr frühzeitig nach dem Zusammenbruch des alten Regimes erkannt. Die Übergangsregierung und die „alte“ Volkskammer haben in dem „Gesetz über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen“ vom 7. März 19901 nicht nur die Errichtung neuer privatwirtschaftlicher Unternehmen freigegeben, sondern zugleich in den §§ 17 bis 19 dieses Gesetzes eine Rückgabe der in der Aktion von 1972 enteigneten Betriebe, zum Teil allerdings nur in der Form des Rückkaufs, vorgesehen. Diese Regelung stand durchaus nicht nur auf dem Papier. Mehr als 1 000 Unternehmen sind auf der Grundlage dieser Vorschriften im Laufe dieses Sommers wieder in private Hände gekommen.
Bereits mit der Errichtung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 haben sich aber die beiden deutschen Regierungen über die Grundsätze geeinigt, die bei der Rückgängigmachung und Entschädigung von Enteignungen allgemein gelten sollen. Die während des Ratifizierungsverfahrens erarbeitete Gemeinsame Erklärung vom 15. Juni 1990 wurde über Art. 41 Abs. 1 verbindlicher Bestandteil des Einigungsvertrages2. Zugleich wurden diese Grundsätze in dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz)3 mit unmittelbar geltenden Rechtsnormen ausgefüllt. Damit haben wir jedenfalls seit dem 3. Oktober 1990 eine verläßliche Rechtsgrundlage, die im Grunde nur noch durch vom Bundesfinanzministerium zu erarbeitende und vom Bundestag zu erlassende Bestimmungen über die Höhe und die Finanzierung von Entschädigungszahlungen ergänzt werden muß.
Angesichts der in diesem Gesetz enthaltenen detaillierten Regelung der Rückgabe von Vermögenswerten im allgemeinen war es unausweichlich, auch die Rückübertragung von Unternehmen in § 6 dieses Gesetzes neu zu regeln und die in vielerlei Hinsicht überholten, teilweise auch ungerechten Vorschriften des Gesetzes vom 7. März 1990 mit dem Einigungsvertrag aufzuheben.
Beide Regelungen – die alte der §§ 17 bis 19 Unternehmensgesetz und die neue des § 6 Vermögensgesetz – haben einen übereinstimmenden Ausgangspunkt und weithin auch eine gemeinsame Zielrichtung. Trotzdem unterscheiden sie sich in wichtigen Punkten deutlich; auf die wichtigsten gehe ich im folgenden ein, da in den Beitrittsländern lange Zeit die Auffassung vertreten wurde, die „alte“ Regelung sei doch eigentlich viel vorteilhafter gewesen.

II. Die erfaßten Enteignungsfälle

§ 17 des Unternehmensgesetzes beschränkte sich auf diejenigen Fälle, in denen Betriebe auf der Grundlage des Beschlusses vom 5. Februar 1972 enteignet worden sind. Es waren vor allem die damals bestehenden „Betriebe mit staatlicher Beteiligung“, meist Kommanditgesellschaften, bei denen der ursprüngliche Alleineigentümer zwar noch Komplementär, der Staat aber schon mit hohen Anteilen, im Einzelfall mit bis zu 95 % des Gesamtkapitals Kommanditist war.
Die neue Regelung des § 6 Vermögensgesetz über die Rückübertragung von Unternehmen gilt zwar ebenso für alle „72er-Fälle“, darüber hinaus aber auch für alle anderen Fälle, in denen Unternehmen
– entschädigungslos enteignet und in Volkseigentum überführt wurden,
– gegen eine geringere Entschädigung enteignet wurden, als sie Bürgern der früheren DDR zustand,
– durch staatliche Verwalter an Dritte veräußert wurden (§ 1 Abs. 1 Vermögensgesetz).
Damit ist das neue Gesetz beispielsweise auch gültig für Unternehmensenteignungen, die in den fünfziger Jahren nach der erzwungenen Flucht der Eigentümer durchgeführt wurden. Erfaßt werden auch diejenigen Fälle, in denen der Eigentümer beispielsweise durch angedrohte Verhaftung zum „freiwilligen“ Verkaufgezwungen wurde (§ 1 Abs. 3 Vermögensgesetz). Ausgenommen sind lediglich diejenigen Enteignungen, die aufbesatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage von 1945 bis 1949 vorgenommen wurden (§ 1 Abs. 8 Vermögensgesetz).
Zusätzlich ist § 6 Vermögensgesetz entsprechend anwendbar auf Zwangsverkäufe, Enteignungen und entsprechende Vorgänge in der Zeit von 1933 bis 1945 (§ 1 Abs. 6 Vermögensgesetz).

III. Reichweite des Rückgabeanspruchs

In einer sprachlich und juristisch nicht ganz eindeutigen Form ging § 17 des Unternehmensgesetzes davon aus, daß die enteig-ZIP 1991, 64neten Betriebe vor ihrer Rückgabe aus denjenigen Unternehmen herausgelöst werden sollen, zu denen sie seit der 72er Enteignung gehörten. Sie sollen auf die bis 1972 bestehenden oder entsprechende neue Handelsgesellschaften übertragen werden, an deren Stelle auch neugegründete Kapitalgesellschaften treten können. Anschließend hat dann der enteignete Unternehmer diejenigen Anteile an diesen Gesellschaften zurückerhalten, die ihm im Jahre 1972 zustanden. Die damals bestehenden staatlichen Kommanditanteile sollten grundsätzlich weiterhin dem Staat oder seinem Rechtsnachfolger, der Treuhandanstalt, zustehen; der Unternehmer hatte lediglich einen Anspruch darauf, daß ihm der staatliche Anteil verkauft wird (§ 19 Abs. 2 Unternehmensgesetz).
§ 6 Vermögensgesetz gewährt demgegenüber einen Anspruch auf Rückübertragung desjenigen Unternehmens, das zum Zeitpunkt der Enteignung bestand. Dies ist in jedem Fall wesentlich mehr als die Rückübertragung des Anfang 1972 noch bestehenden Anteils an der jeweiligen Kommanditgesellschaft. Im Grundsatz kann die Rückgabe des ganzen Unternehmens verlangt werden, ohne daß ein staatlicher Gesellschaftsanteil weiter besteht. Die Rückgabe des Unternehmens hat in dem heutigen Zustand auch dann zu erfolgen, wenn dieser sich deutlich von dem Zustand im Jahre 1972 unterscheidet, aber das Ergebnis einer normalen Weiterentwicklung ist.
Im Jahre 1972 ist nur derjenige Geschäftsanteil enteignet worden, der damals noch bestand. Wegen der für die ursprünglichen Alleineigentümer sehr ungünstigen gesellschafts- und steuerrechtlichen Regelungen war dies möglicherweise nur noch ein bescheidener Anteil, da der entsprechende staatliche Anteil in den Jahren zuvor immer weiter angewachsen war. In diesem Zusammenhang muß jedoch berücksichtigt werden, daß der ursprüngliche Alleineigentümer wohl nur in seltenen Fällen freiwillig eine staatliche Beteiligung hereingenommen hat. Jedenfalls dann, wenn die DDR-Dienststellen die staatliche Beteiligung durch unlautere Machenschaften, insbesondere durch Nötigung erreicht haben, liegt zum Zeitpunkt der ersten staatlichen Beteiligung bereits ein die Rückerstattung begründender Enteignungstatbestand i. S. d. § 1 Abs. 3 Vermögensgesetz vor, so daß die Rückgabe des gesamten Unternehmens verlangt werden kann. Das schließt einen finanziellen Ausgleich z. B. für staatliche Beiträge zu den Investitionen nicht aus, wenn dies notwendig ist, um zu verhindern, daß der Unternehmer heute mehr zurückerhält als ihm entzogen worden ist.

IV. Einschränkungen des Rückgabeanspruchs

Die beiden Regelungen des Unternehmens- und Vermögensgesetzes sahen sich mit dem Problem konfrontiert, daß die enteigneten Unternehmen 20 und mehr Jahre nach der Enteignung kaum noch in dem alten Zustand – rechtlich, wirtschaftlich und organisatorisch – erhalten sind; Hauptursache ist die Eingliederung der enteigneten Betriebe in größere volkseigene Betriebe (VEB). Beide Regelungen gehen deshalb von einer Entflechtung aus; in der Praxis ist der enteignete Betrieb aus dem inzwischen in eine GmbH umgewandelten VEB auszugliedern. Das zweite Problem ist der Umstand, daß sich die enteigneten Betriebe in fast 20 Jahren weiterentwickelt haben, viele zu ihrem Nachteil, manche aber auch zu ihrem Vorteil; in keinem Fall wird der Betrieb in seinem ursprünglichen Zustand noch bestehen. Jedenfalls bei „normaler Weiterentwicklung“ erstreckt sich der Rückübertragungsanspruch auf den heutigen Betrieb, wenn er mit dem enteigneten Betrieb wenigstens vergleichbar ist.
Ziel ist die Wiederherstellung des alten Zustands – aber fortgeschrieben bis zum Zeitpunkt der Rückgabe. Grundsätzlich sind Aktiva und Passiva, aber auch laufende Verträge von dem jetzt bestehenden Gesamtunternehmen auf die neue Gesellschaft bzw. auf den Rückerstattungsberechtigten in dem Umfang zu übertragen, daß das beispielsweise 1972 untergegangene Unternehmen wieder entsteht. Es entspräche nicht dem Sinn beider Regelungen, nur Aktiva zu übertragen mit dem Ergebnis, daß das zur Zeit noch bestehende Gesamtunternehmen – z. B. nach Rückgabe mehrerer enteigneter Betriebe – jede Basis für seine Fortführung verliert, aber auf den damit verbundenen Schulden sitzenbleibt. Es entspricht insbesondere auch nicht dem Ziel des Vermögensgesetzes, nur Grundstücke und Betriebsmittel zurückzugeben, die Arbeitnehmer aber in die Arbeitslosigkeit zu entlassen.
Wenn der enteignete Betrieb schlicht nicht mehr vorhanden ist – auch nicht im Verbund des VEB als Nachfolgeunternehmen –, muß die Rückgabe ebenso scheitern wie bei völliger Sanierungsunfähigkeit. § 19 Abs. 4 des früheren Unternehmensgesetzes gewährte insoweit ersatzweise einen Anspruch auf Beteiligung am umgewandelten VEB; dies galt auch, wenn die Entflechtung, d. h. die Herauslösung des enteigneten Betriebes, unmöglich ist (§ 5 Abs. 1 Satz 5 der 1. DVO)4. Schon dieser Beteiligungsanspruch ist aber eingeschränkt („nach Möglichkeit“); bei Überschuldung des ehemaligen VEB ist er wertlos. Eine ersatzweise Entschädigung war nicht vorgesehen; allerdings ist es manchem Unternehmer gelungen, doch eine Entschädigung durch Übereignung von einzelnen Vermögensgegenständen zu erhalten.
§ 6 Vermögensgesetz versucht, den Rückgabeanspruch bis an die Grenze des überhaupt Möglichen zu sichern. Es reicht aus, daß das heute existierende oder ausgliederbare Unternehmen mit dem vor vielen Jahren enteigneten Betrieb „vergleichbar“ ist. Damit orientiert sich das Gesetz an der Rückgabepflicht eines Unternehmenspächters, der ja auch nach langfristiger Pachtzeit ein Unternehmen zurückgibt, das inzwischen sein Aussehen, seine Produktionsmittel und -ziele deutlich geändert hat.
Trotzdem wird die Rückgabe in zwei Fällen ausgeschlossen sein, d .h., wenn
– der enteignete Betrieb durch den übernehmenden VEB aufgelöst worden ist (Beispiel: Schließung eines enteigneten Textilbetriebes, weitere Nutzung von Grundstück und Gebäuden für eine andersartige neue Produktion),
– die Entflechtung, d. h. die Herauslösung des enteigneten Betriebes, wirtschaftlich „unvertretbar“ ist (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Vermögensgesetz); hier soll verhindert werden, daß eine größere Einheit, die an sich sanierungsfähig ist, durch Herauslösen von existenznotwendigen Teilbereichen ruiniert wird.
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In diesen Fällen und beim freiwilligen Verzicht des Anspruchsberechtigten auf die Rückgabe tritt ein Entschädigungsanspruch an die Stelle des Rückübertragungsanspruchs (§ 6 Abs. 7 Vermögensgesetz).
In jedem Fall ist die Entschädigung aber nachrangig. An erster Stelle steht die Rückübertragung. Das zeigt sich schon deutlich, wenn bei einer Familiengesellschaft oder einer Erbengemeinschaft nur ein Beteiligter die Rückgabe verlangt, andere aber die Entschädigung vorziehen. Hier gibt es nur die Rückübertragung an den Antragsteller, der die übrigen Beteiligten nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln abzufinden hat, oder an alle Beteiligte. Die Entschädigung ist aber auch wirtschaftlich nachrangig, da die Rückübertragung sofort, die Entschädigung aber erst nach Erlaß des Entschädigungsgesetzes erfolgt, das erst noch erarbeitet werden muß, auch möglicherweise aus Finanzierungsgründen eine Streichung der Entschädigungszahlungen vorsehen wird.
Der Vorrang der Rückübertragung gilt auch gegenüber anderen Zielen des Treuhandgesetzes. Grundsätzlich geht Reprivatisierung vor Privatisierung.
Wenn ein rückübertragungsfähiger Betrieb nicht mehr existiert und auch nicht durch Ausgliederung aus dem ehemaligen VEB wiederentstehen kann, stellt sich oft die Frage des Schicksals übriggebliebener Grundstücke und Gebäude. Ihre Rückgabe richtet sich nach dem abweichenden Recht der Grundstücksrückgabe, das in mancherlei Hinsicht ungünstiger ist als das Recht der Unternehmensrückgabe. Deshalb werden die Berechtigten regelmäßig versuchen, die Grundstücke an Stelle des untergegangenen Betriebes zu erhalten. Darauf kann die Treuhandanstalt eingehen, wenn sie die Grundstücke auch nach allgemeinem Rückerstattungsrecht zurückgeben muß, sie also nicht für die Fortführung und den Ausbau eines Treuhand-Betriebes benötigt.

V. Finanzieller Ausgleich

Grundsätzlich soll ein Unternehmer, der seinen Betrieb zurückerhält, nicht schlechter gestellt werden, als hätte er den Betrieb von Anfang an behalten. Umgekehrt soll er sich aber auch nicht besser stellen, wenn er einen Betrieb zurückerhält, in den inzwischen große Investitionen geflossen sind. Deshalb sehen beide Gesetze einen finanziellen Ausgleich vor, unterscheiden sich aber schon im Ansatzpunkt.
§ 19 Abs. 1 Unternehmensgesetz ging von der nach DDR-Recht und nach DDR-Bewertungsgrundsätzen aufzustellenden Schlußbilanz des zurückzugebenden Betriebes aus. Nach unseren Erfahrungen wird dabei das Anlagevermögen weitaus überbewertet, da wesentliche Vermögensgegenstände zu künstlich hochgeschraubten Anschaffungswerten aktiviert und fortgeführt oder sogar noch nachträglich höherbewertet werden; außerdem werden wirtschaftlich wertlose Anlagen nicht rechtzeitig ausgebucht.
§ 6 Abs. 2–4 Vermögensgesetz greift dagegen bei der Prüfung, ob eine wesentliche Verschlechterung oder ausnahmsweise Verbesserung der Vermögenslage vorliegt, auf das D-Markbilanzgesetz zurück, das im Bundesjustizministerium erarbeitet worden ist und in der Tradition des kaufmännischen Rechnungswesens marktwirtschaftlicher Prägung steht. Danach geht es nicht mehr um fiktive Anschaffungswerte, sondern um eine wirtschaftliche Bewertung; eine für den Betrieb wertlose Maschine ist abzuschreiben, wenn sie weder einer wirtschaftlichen Produktion noch einer anderen Verwertung zugeführt werden kann.
Zur Vermeidung einer Überschuldung und zur Erzielung eines Mindestkapitals muß die Treuhandanstalt die in §§ 24, 26 Abs. 3, § 28 D-Markbilanzgesetz – grundsätzlich nur für ihre Unternehmen vorgesehenen – Hilfen gewähren. Weitere Ausgleichsansprüche des Unternehmers sind ebensowenig ausgeschlossen wie die Anrechnung der bei der Verstaatlichung tatsächlich ausgezahlten Enteignungsentschädigungen.
Ein entscheidender Unterschied ergibt sich aus dem weitergehenden Rückübertragungsanspruch nach § 6 Vermögensgesetz. Soweit bereits in der unfreiwilligen Einräumung der staatlichen Beteiligung etwa in den 50er Jahren ein Enteignungseingriff zu sehen ist, besteht keine Verpflichtung, für die Rückübertragung des staatlichen Anteils einen Kaufpreis zu zahlen. Wenn die Voraussetzungen für die Rückabwicklung einer Enteignung auch insoweit nach § 1 Abs. 3 Vermögensgesetz vorliegen, ist für die Rückübertragung des staatlichen Anteils auch kein finanzieller Ausgleich zu zahlen. Bereits nach dem Unternehmensgesetz abgewickelte Fälle können insoweit wieder aufgerollt werden (§ 6 Abs. 8 Vermögensgesetz). Deshalb können auch bereits vereinbarte Zahlungen entfallen. Das ändert nichts daran, daß dann allerdings für den gesamten Enteignungsfall der finanzielle Ausgleich unter Berücksichtigung der Zahlungen, die der enteignete Unternehmer nach 1972 tatsächlich erhalten hat, durchgeführt werden muß.

VI. Beschleunigung des Rückübertragungsverfahrens

Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß die besten materiell-rechtlichen Vorschriften leerlaufen, wenn die verfahrensmäßige Durchführung an einem ungeeigneten Verfahrensrecht oder an dem passiven Widerstand der mit der Durchführung beauftragten Bürokratie scheitert. Es ist hier nicht der Platz, auf juristische Feinheiten des Verfahrensrechts einzugehen. Es bestehen aber gute Gründe, davon auszugehen, daß die geltenden Verfahrensbestimmungen der §§ 22 ff Vermögensgesetz sachadäquat sind. Mehr als tausend zurückübertragene Unternehmen dürften auch den Vorwurf widerlegen, die damit beauftragten Dienststellen hätten diese Verfahren generell sabotiert.
Leider hat das Inkrafttreten des Vermögensgesetz erst einmal zu Verzögerungen geführt. An Stelle der inzwischen aufgelösten Bezirksbehörden sind die Landratsämter und die entsprechenden Stellen der kreisfreien Städte zuständig, bis die Rückübertragung von Unternehmen von den in den einzelnen Beitrittsländern einzurichtenden „Landesämtern zur Regelung offener Vermögensfragen“ übernommen wird. Da war es dann eine naheliegende Ausrede, den Stillstand der Verfahren mit fehlenden Ausführungsbestimmungen zu begründen. Daß dies teils ein Irrtum, teils ein Vorwand der nicht voll funktionsfähigen Dienststellen war, wird heute nicht mehr bestritten: So werden zwar einige Präzisierungen von unbestimmten Begriffen durch eine Rechtsverordnung des Bundesjustizministers nach § 6 Abs. 9 Vermögensgesetz vorgenommen; dies dient aber nur der ZIP 1991, 66Erleichterung der Verfahren, die auch ohne zusätzliche Regelungen durchgeführt werden können. Ohne daß eine einzige zusätzliche Vorschrift erlassen wird, können die Rückübertragungsverfahren nach § 6 Vermögensgesetz abgewickelt werden. Lassen Sie sich also nicht mit der Begründung abwimmeln, erst müßten Ausführungsvorschriften abgewartet werden. Bitte vergessen Sie aber solche juristischen Details, definieren Sie Ihr wirtschaftliches Ziel und versuchen Sie, es durch Verhandlungen und eine Einigung mit allen Beteiligten zu erreichen.
Von allen Verfahrensbeteiligten ist jetzt viel Flexibilität gefordert. Das gilt nicht nur für die Treuhandanstalt, soweit sie im Besitz der enteigneten Betriebe ist, und für die zuständigen Verwaltungsbehörden, sondern erst recht für die Antragsteller. Jeder Beteiligte kann natürlich das Rückübertragungsverfahren unendlich in die Länge ziehen, indem er unrealistische Forderungen für die Einzelheiten einer Entflechtung oder für den finanziellen Ausgleich aufstellt; ein Beispiel dafür ist die Berechnung astronomischer Schadensersatzansprüche wegen des in Jahrzehnten entgangenen Gewinns.
Aber auch unter vernünftigen Verfahrensbeteiligten kann es natürlich Streit geben, welche Vermögensgegenstände und Schulden dem auszugliedernden Betrieb mitgegeben werden sollen und wie sie im Rahmen des finanziellen Ausgleichs zu bewerten sind. Eine schnelle Lösung ist in diesen Fällen für alle Beteiligte immer noch die billigste. Sie sollten deshalb alles daransetzen, im Wege einer einvernehmlichen Regelung eine schnelle Rückgabe zu erreichen. Einigt sich beispielsweise ein Antragsteller, dessen Berechtigung unbestritten ist, über die Einzelheiten des Rückübergabeanspruchs mit der Treuhandanstalt, braucht die Verwaltungsbehörde diese Einigung nur noch zu protokollieren. Es geht sogar ohne diese Behörde, wenn sich der Antragsteller für endgültig abgefunden erklärt und nach Rückgabe seines Betriebes durch die Treuhandanstalt seinen Antrag zurücknimmt.
Angesichts der oft verständlichen Meinungsverschiedenheiten über die richtige Bewertung wird die praktische Wirksamkeit des Vermögensgesetzes für den Unternehmensbereich wesentlich davon abhängen, ob im Einzelfall Mittel und Wege gefunden werden, einen Betrieb sofort zurückzugeben, die Diskussion und die endgültige Einigung über den finanziellen Ausgleich dann aber einem zweiten Verfahrensabschnitt vorzubehalten.
Einen besonders eleganten, für manche Fälle geeigneten Weg hat insoweit die Treuhandanstalt gefunden. Sie verkauft einem Anspruchsberechtigten denjenigen Betrieb, dessen Rückgabe er verlangt, zu einem angemessenen Kaufpreis, der jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Rückgabeanspruch und den finanziellen Ausgleich gestundet wird. So kommt der Antragsteller schnell in den Besitz seines Betriebes, ohne mit einem Kaufpreis liquiditätsmäßig belastet zu sein. Nach Abschluß des Verfahrens findet eine Verrechnung des gestundeten Kaufpreises mit eventuellen Ansprüchen des Unternehmers auf finanziellen Ausgleich statt.

VII. Weitere Maßnahmen des Bundesjustizministeriums

Nachdem erste Erfahrungen mit den neuen Rückübertragungsvorschriften des Vermögensgesetzes gesammelt und umfangreiche Diskussionen mit allen interessierten Stellen geführt worden sind, wird das Bundesjustizministerium voraussichtlich schon in allernächster Zeit eine Art „Kommentierung“ der Rückübertragungsvorschriften für enteignete Unternehmen vorlegen, um den Antragstellern genauso wie den Verwaltungsbehörden erläuternde Anhaltspunkte zu geben. Anschließend wird voraussichtlich bereits im Januar 1991 eine erste Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 9 Vermögensgesetz ergehen, mit der die notwendigerweise unbestimmten Rechtsbegriffe des materiellen Rechts konkretisiert werden („vergleichbar unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung“, „wesentliche Verschlechterung“, „wesentliche Verbesserung“). Möglicherweise wird dabei auch ein Schiedsverfahren eingeführt, das im Vermögensgesetz ursprünglich keinen Platz fand, weil es unserem Verständnis von einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Exekutivbehörden nicht ohne weiteres entspricht. Möglicherweise wird das Bundesjustizministerium schließlich auch noch gesellschaftsrechtliche Sondervorschriften für die Durchführung einer Entflechtung ehemals volkseigener Betriebe vorschlagen.
Ernst Niederleithinger*
1
1)
Abgedruckt bei Horn (Hrsg.), Das Zivil- und Wirtschaftsrecht der DDR, RWS-Dokumentation 1, Verlag Kommunikationsforum, Köln, 1990, Nr.4.7.
2
2)
Anlage III, abgedruckt bei Horn (Hrsg.), Das Zivil- und Wirtschaftsrecht in den neuen Bundesländern, RWS-Dokumentation 2, 1990, Nr. II. 2.3.
3
3)
Abgedruckt in ZIP 1990, 1162.
4
4)
Abgedruckt bei Horn (Fußn. 1), Nr. 4.8.
*
*)
) Dr. iur., Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz, Bonn, Honorarprofessor der Universität Bochum

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