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Ausweichrouten eine Frage der Kosten

Nach dem mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Passagierjets über der Ostukraine werden in der Flugbranche die Rufe lauter, Verkehrsmaschinen sollen Krisengebiete in Zukunft generell meiden. Welcher Luftraum in welchen Höhen und wie lange gesperrt wird, obliegt bis auf einige Ausnahmen den nationalen Behörden - und denen wurde bisher zumeist vertraut. So herrschte bis zuletzt über der Ostukraine, wie auch über anderen Krisenregionen, reger Flugverkehr.

Nur gelegentlich greift die zuständige UNO-Agentur International Civil Aviation Organization (ICAO) ein und sperrt - beispielsweise im damaligen Jugoslawien, in Libyen und Syrien - einen Luftraum für zivile Flugzeuge. Die Abschätzung des Risikos liegt normalerweise bei den nationalen Behörden. Israel beispielsweise hat nach den Raketenangriffen aus dem Gazastreifen bestimmte Luftstraßen geschlossen, hält andere aber für sicher.

Keine Warnungen

Die europäische Luftraumaufsicht Eurocontrol hatte Anfang April vor Flügen auf die Krim gewarnt. Nach der Annexion der Krim durch Russland war zwischen Kiew und Moskau umstritten, wer für die Luftverkehrsaufsicht zuständig ist. Da das nicht geklärt werden konnte, riet Eurocontrol vor Flügen dorthin ab.

Für die Ukraine gab es allerdings „überhaupt keine nationalen oder internationalen Warnungen, dass es nicht sicher sein könnte, im oberen Luftraum über der Ukraine zu fliegen“, sagt ein Experte der EU-Kommission in Brüssel. Die Ukraine habe die Lage im umkämpften Osten des Landes „unterschätzt“, sagte Eurocontrol-Generaldirektor Frank Brenner der APA. Kiew habe den Luftraum in dem Gebiet als „eingeschränkt passierbar“ eingestuft, „ein möglicher Abschuss ist nicht erwartet worden“.

Luftraum nur bis 32.000 Fuß gesperrt

Die Ukraine hatte am 1. Juli den Luftraum bis zu einer Höhe von 32.000 Fuß (gut 9.750 Meter) gesperrt. Der Flug MH017 befand sich auf 33.000 Fuß, also 305 Meter höher. Zum Zeitpunkt des Abschusses befanden sich zwei weitere Maschinen, eine der Singapore Airlines und eine von Air India in unmittelbarer Nähe, so Flightradar24 per Twitter. Etwa 75 Prozent aller normalerweise über die Ostukraine führenden Flüge fanden auch nach der Sperrung des Luftraums Anfang Juli in größerer Höhe statt. Es sind etwa 150 Flüge täglich, die nun mit der vollständigen Sperre nach dem Unglück ausweichen müssen.

Einige Fluglinien wichen aus

Die Entscheidung lag bisher auch bei den Fluggesellschaften. Doch durch Ausweichrouten steigen Flugzeit und Kerosinverbrauch - und damit für die Fluglinie auch die Kosten. Und laut Experten orientieren sich viele Airlines an der Konkurrenz: Wenn andere die Route fliegen, erhöht das den Druck.

Einige Airlines umflogen das Gebiet aus Sicherheitsgründen schon seit Monaten weiträumig. Die koreanischen Airlines Korean Air und Asiana sowie die australische Fluglinie Qantas leiteten ihre Flüge nach eigenen Angaben bereits nach der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim durch Russland im März um. Die taiwanische Linie China Airlines änderte ihre Routen im April. Fluglinien wie Japan Airlines, All Nippon Airways und Garuda aus Indonesien gaben an, sie seien ohnehin nie über die Ukraine geflogen. Auch British Airways meidet laut BBC den Luftraum schon länger.

Spätes Umdenken

Aeroflot, Singapore Airlines, Ukraine International Airlines und auch die Lufthansa seien genauso wie Malaysia Airlines laut BBC regelmäßig über das Krisengebiet geflogen. Das hat sich nun freilich geändert: Lufthansa, Air France und Delta erklärten nach dem Unglück den ostukrainischen Luftraum „bis auf weiteres“ zu meiden. Auch die Austrian entschied sich dazu, den ostukrainischen Luftraum vorerst zu umfliegen.

Bleibt alles, wie es ist?

Ob langfristig ein Umdenken eintritt, bleibt abzuwarten. Eurocontrol-Chef Brenner sagte, dass zunächst einmal eine Untersuchungskommission die Geschehnisse rund um den Absturz aufklären solle, „um danach angemessene Entschlüsse zu ziehen“. Vorerst sieht er keine Notwendigkeit, dass die Eurocontrol ihre Haltung ändert. „In der Vergangenheit hat man den Gefahreneinschätzungen der Länder vertrauen geschenkt, und ich denke, dass das auch so bleiben wird.“

Der Direktor des Internationalen Luftfahrtverbands (IATA), Tony Tyler, zeigte sich tief betroffen über den Absturz der Passagiermaschine. Zur Wahl der Flugroute sagte Tyler, Fluggesellschaften müssten sich auf Regierungen und Luftverkehrskontrollen verlassen können. Keine Fluggesellschaft würde die Sicherheit ihrer Passagiere und der Besatzung gefährden, nur um Treibstoff zu sparen, hieß es in einer IATA-Mitteilung vom Freitag. Sicherheit habe immer oberste Priorität. „Es ist so ähnlich wie beim Autofahren. Ist die Straße offen, so geht man davon aus, dass sie sicher ist. Ist sie geschlossen, sucht man eine Ausweichroute“, wurde Tyler in der Mitteilung zitiert.

Deutsche Piloten fordern Debatte

Das deutsche Luftfahrtbundesamt (LBA) warnte vor dem Überfliegen sämtlicher Konfliktzonen weltweit. Den Luftfahrtunternehmen werde dringend empfohlen, Flüge über politische Krisengebiete wie etwa der Ostukraine aus Sicherheitsgründen zu vermeiden. Die Warnung bezieht sich damit auch auf den Luftraum über anderen Konfliktgebieten wie etwa Syrien, Irak und Afghanistan.

Am Freitag forderten deutsche Piloten bereits eine Überprüfung der weltweiten Flugrouten. „Das Überfliegen von umkämpften Ländern galt bisher als unbedenklich, da es dort keine entsprechenden Waffen gab, die Verkehrsflugzeuge auf Reisehöhe erreichen konnten“, sagte Jörg Handwerg, Vorstand der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit: „Ob Konfliktzonen, in denen vergleichbares Bedrohungspotenzial wie in der Ostukraine besteht, noch überflogen werden dürfen, muss hinterfragt werden.“

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