Nachwahl in Hongkong Chows Kampf für mehr Demokratie
Stand: 11.03.2018 02:04 Uhr
Agnes Chow galt als aussichtsreiche Kandidatin. Doch sie wurde von der Wahl in Hongkong ausgeschlossen - weil sie Selbstbestimmung fordert. Kein Grund, sich nicht mit der Führung anzulegen.
Von Steffen Wurzel, ARD-Studio Shanghai
Für eine Revoluzzerin sieht Agnes Chow ziemlich brav aus: schulterlange schwarze Haare, eine hochgeknöpfte weiße Bluse und ein grauer Wintermantel. Doch Chow ist zurzeit so etwas wie eine Staatsfeindin in Hongkong. Denn sie kämpft für mehr Demokratie in der früheren britischen Kolonie. Von der Stadtregierung, die sich pro-Festlandchina positioniert, wurde sie deswegen von der Parlamentsnachwahl ausgeschlossen.
Die Hongkonger Regierung und die Staats- und Parteiführung in Peking fürchten sich ganz offensichtlich vor der 21-Jährigen. "Die Regierung hat nicht nur Angst vor mir oder meiner Partei Demosisto", sagt Chow im Interview mit dem ARD-Studio Shanghai. "Sie will generell junge Menschen loswerden, die gegenüber der Pekinger Zentralregierung eine abweichende Meinung haben."
Ausschluss wegen Wunsch nach Selbstbestimmung
Bei der Nachwahl fürs Hongkonger Parlament heute geht es zwar nur um wenige Sitze, doch symbolisch ist die Abstimmung enorm wichtig. Denn es geht auch um die Frage, ob der pro-demokratische Block im Hongkonger Parlament stark genug bleibt, um gegen Entscheidungen der festlandtreuen Stadtregierung Vetos einlegen zu können. Bis Chow Ende Januar von der Wahl ausgeschlossen wurde, galt sie als aussichtsreiche Kandidatin.
Zum Verhängnis wurde ihr, dass sie und ihre Partei fordern, was aus westlicher Sicht völlig normal ist: Demokratische Selbstbestimmung und das Recht, selbst über die Zukunft entscheiden zu können. "Wir befürworten Selbstbestimmung, weil wir glauben, dass die Menschen in Hongkong das Recht haben sollten, über ihre Zukunft zu entscheiden", heißt es von Chows Partei Demosisto.
"Demokratische Selbstbestimmung oder ein Referedum über eine mögliche Unabhängigkeit der Stadt verstoßen gegen das Grundgesetz der Sonderverwaltungszone Hongkong," so begründete der Chef der pro-Pekinger Stadtverwaltung Matthew Cheung den Ausschluss der Demosisto-Kandidatin von der Wahl. "Außerdem widerspricht Selbstbestimmung den Prinzipien der Volkrepublik China."
Festlandchina mischt sich immer mehr ein
Seit nun fast 21 Jahren gehört Hongkong zu China. Also etwa, seit Chow geboren wurde. Seitdem gilt in der Stadt eigentlich das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme". Zum Beispiel gibt es - anders als in Festlandchina - Rechststaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit und eben auch teilweise demokratische Wahlen.
Doch die Staats- und Parteiführung in Peking mischt sich zunehmend in die Geschicke Hongkongs ein. "Vor zwei Jahren wurden die Kandidaten ausgeschlossen, die für eine Unabhängigkeit waren. Dieses Mal trifft es Menschen wie mich, die einfach nur Selbstbestimmung fordern", sagt Chow.
Junge Hongkonger unterstützen Chow
Unter anderem die Bundesregierung, die EU und die USA haben gegen den Wahl-Ausschluss von Chow protestiert. Geholfen hat es nichts. Sie wird bei der Parlamentsnachwahl nicht auf dem Abstimmungszettel stehen. Trotzdem hat sie die politische Debatte in Hongkong in den vergangenen Wochen mitbestimmt.
Vor allem viele junge Leute unterstützen sie und die Forderungen ihrer Mitstreiter von Demosisto. Die Partei ist aus den pro-demokratischen Regenschirmprotesten im Sommer 2014 hervorgegangen. Damals hatten wochenlang zehntausende Menschen für mehr Demokratie in Hongkong protestiert. Doch die Pekinger Zentralregierung hatte die Demonstrationen damals einfach ausgesessen.
Appell an den Westen: "Wisst Eure Rechte zu schätzen"
Demokratie, Menschenrechte und die Möglichkeit, sich politisch zu Beteiligen, sollten Grundrechte für alle sein, fordert Chow. Doch in Hongkong gebe es das alles nicht: "Wir haben leider nicht so viel Glück wie die Menschen in demokratischen Staaten. Deswegen opfern sich zurzeit viele Menschen in Hongkong auf."
Viele wurden ins Gefängnis geschickt, ihnen würden - wie auch Chow - politische Grundrechte entzogen, einfach weil sie für mehr Demokratie kämpfen würden. "Ich möchte allen im Westen sagen: Nehmt Eure Grundrechte nicht als Selbstverständlichkeit hin. Ich bitte Euch: Wisst Eure Rechte zu schätzen und das, was in euren Gesellschaften und Euren Ländern geschieht."
"Ihr leugnet die Bedeutung unserer Flagge"
Nicht alle Hongkonger wünschen sich mehr Demokratie. Im Gegenteil. Bei mehreren öffentlichen Veranstaltungen in der chinesischen Sonderverwaltungszone schlug Chow blanker Hass entgegen, zum Beispiel von dieser Rentnerin aus dem pro-festlandchinesischen Lager der Stadt: "Du siehst Dich doch nicht mal als Chinesin! Wie kannst Du dann fürs hongkongchinesische Parlament antreten wollen? Du und Dein Leute, ihr leugnet doch die Bedeutung unserer Flagge, Ihr beleidigt unsere Nation. Allein deswegen gehörst Du von der Wahl ausgeschlossen."
Trotzdem. Aufgeben will Chow nicht, sondern sich weiter politisch engagieren. "Der Kampf für mehr Demokratie in Hongkong ist ein langer Weg. Aber wenn wir aufgeben, für das zu kämpfen, was richtig ist - für Demokratie und Menschenrechte - dann schreitet die Unterdrückung durch das Regime noch schneller voran."
Hongkong: Eine 21-jährige Revoluzzerin macht der Führung mächtig Angst
Steffen Wurzel, ARD Shanghai
10.03.2018 19:11 Uhr
Audio
Weitere Meldungen aus dem Archiv vom 11.03.2018 und vom 10.03.2018
- Alle Meldungen vom 11.03.2018 zeigen
- Alle Meldungen vom 10.03.2018 zeigen