Film der Woche: Sommer der Gaukler

Der Berg ruft zum Umsturz

Nils Michaelis23. Dezember 2011

Es war einmal ein größenwahnsinniger Theatermann. In einer Revolte von Bergleuten entdeckt er den Stoff seines Lebens: „Sommer der Gaukler“ zeigt eine Zeitenwende als burlesken Gefühls- und Bilderrausch.

Exaltierter Gesamtkünstler trifft auf maulfaulen Arbeiterführer: Gegensätzlicher könnten die beiden Hauptfiguren in dieser wilden Kreuzung aus Heimatfilm und groteskem Künstler-Revoluzzer-Komödiendrama nicht sein. Doch zumindest eine Erfahrung teilen Emanuel Schikaneder und Georg Vester: Sie stolpern in Realitäten hinein, die ihnen schnell über den Kopf wachsen und einen ungeahnten Verlauf nehmen.  

Das Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist eine Welt im Umbruch: In Kunst und Gesellschaft geraten die Dinge in Bewegung. Der Siegeszug der Oper und ein wachsendes Selbstbewusstsein proletarischer Gesellschaftsschichten sind nur zwei Beispiele. Gleichzeitig stemmen sich ewiggestrige Fürsten gegen den Geist des Aufbruchs.   „Das ganze Leben ist eine Bühne“, sagt Schikaneder: Der überdrehte Impresario aus Bayern kennt keine Grenze zwischen dramatischer Kunst und Wirklichkeit – auch die Kinobesucher verlieren sich immer wieder zwischen den eigentlichen Handlungsebenen und Schikaneders Traumbildern. Mit einer Mischung aus Größenwahn und Spieltrieb hält er seine Theatertruppe zusammen, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Stoff, den es in ein Stück zu kleiden gilt.  

Die Jagd nach dem Stoff Jener Stoff wartet dort, wo es der Lebemann und Mozart-Vertraute niemals vermutet hätte: In einem gottverlassenen Kaff in den Alpen, wo er im Jahr 1780 mit seinem Ensemble auf dem Weg nach Salzburg strandet. Dort proben Bergleute den Aufstand gegen den gierigen Bergwerksbesitzer.   Nach der ersten Begegnung mit Vester ist klar: Er und kein anderer wird der Protagonist seines kommenden Bühnenwerks, das Schikaneder aus der Sinnkrise und seinen Haufen aus der finanziellen Misere befreien soll. Doch er ist nicht nur blind für die Konflikte und Intrigen innerhalb der ländlichen Feudalwelt, sondern auch für die Absatzbewegungen innerhalb seiner Truppe, bis hin zum geliebten Eheweib Eleonore.   All seine Hoffnungen ruhen auf dem örtlichen Baron und eben Mozart – mit ihnen teilt er den aufklärerischen Geist der Freimaurer und, wie er meint, den Sinn für große Kunst, die sich unaufhaltsam ihren Weg bahnt. Schlussendlich wird jenes Dorf zum Schmelztiegel des Aufbruchs: Vesters Protest trifft auf Schikaneders pompöses und von dramatischen Effekten durchsetztes Bühnenspektakel – mit unvorhergesehenen Turbulenzen.   

Burlesker Bilderrausch Selten bietet der deutsche Film so eine berauschend-stimmige Mischung aus leichthändiger Inszenierung und burlesker Tiefe, die sinnliche Abgründe offenlegt, ohne die Erzählung aus den Augen zu verlieren. Freilich kommen Regisseur Marcus H. Rosenmüller, bekannt geworden mit „Wer früher stirbt, ist länger tot“, die pointenreichen Dialoge und die überraschenden Wendungen des Drehbuchs zugute. Doch der wahre Wahnwitz nimmt erst dann seinen Lauf, wenn die Darsteller ihre letzten Reserven mobilisieren, und das obendrein im Sinne einer bestechenden Teamleistung – eingerahmt von einer satten Bilderwelt, die das Bergleben in all seinen düsteren und drallen Nuancen widerspiegelt.   

Dass dieses Niveau durchgehend gehalten wird, zeugt von einer begnadeten Regie. Allen voran Max von Thun alias Schikaneder scheint es förmlich zu genießen, von der Kette gelassen zu werden und jeden Gemütszustand auf die Spitze zu treiben: Da liegt es nahe, dass sein überhitztes Spiel manchmal die Grenze der Parodie erreicht. Aber was macht das schon bei einer Figur wie jenem durchgeknallten Regisseur, Dramatiker, Schauspieler und Theatergründer?   Wie so vieles im „Sommer der Gaukler“ hat auch der verrückte Schikaneder einen realen Kern: 55 Theaterstücke und 44 Libretti für Opern und Singspiele gehen auf den gebürtigen Straubinger zurück. Zeitgenössische Drucke zeigen ihn von Kopf bis Fuß im Federschmuck, genauer gesagt: im Papageienkostüm. Im September 1791 erlebt der 40-Jährige seinen größten Erfolg als Librettist: Mozarts „Zauberflöte“ feiert ihre Premiere in Wien – mit Schikaneder in der Rolle des Papageno. Später gründet er das Theater an der Wien. Völlig verarmt stirbt Schikaneder im September 1812 in geistiger Verwirrung.  

Zeitloser Drang nach Autonomie Ebenso konsequent gibt Lisa Maria Potthoff Schikaneders moralischen Counterpart, seine Frau Eleonore. Als hintergründige und geistreiche Schönheit hält sie den Laden zusammen, während der Maestro in höheren Sphären schwebt: Folgt Eleonore anfangs vor allem den Konventionen jener Zeit, lässt sie ihrem Drang nach Autonomie zunehmend freien Lauf.   Jenen Spagat mutet Rosenmüller weiteren Figuren zu: Sie sind Kinder ihrer Zeit, die auf individueller Ebene Freiräume suchen: Gerade diese Ausprägung verleiht ihnen etwas Zeitloses, das sie vor Klischees bewahrt, ohne den historischen Kontext auszublenden. Selten war der Aufbruch in die Moderne so unterhaltsam!  

Info:   Sommer der Gaukler (BR Deutschland 2011), Regie: Marcus H. Rosenmüller, Drehbuch: Robert Hültner und Klaus Wolfertstetter, mit Max von Thun, Lisa Maria Potthoff, Maxi Schafroth u.a., 105 Minuten.   www.sommerdergaukler-derfilm.de 

Kinostart: 22. Dezember