Stand: 02.01.2018 13:50 Uhr
Prora - Der "Koloss von Rügen"
Acht aneinandergereihte Häuserblöcke bieten einen imposanten Anblick.
Viereinhalb Kilometer misst das längste Bauwerk der Nationalsozialisten. Auf der Insel Rügen legt die NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF) am 2. Mai 1936 den Grundstein für die Ferienanlage in Prora, die aus acht aneinandergereihten baugleichen Häuserblocks besteht. Dabei handelt es sich um eines der wenigen Monumentalprojekte der Nationalsozialisten, das zumindest zum Teil verwirklicht worden ist. Die vorrangig vom Architekten Clemens Klotz entworfene Anlage an der Ostsee zwischen den Orten Binz und Sassnitz dokumentiert eindrucksvoll den Größenwahn der Hitler-Zeit. Der Gesamtentwurf wird auf der Weltausstellung in Paris 1937 sogar mit dem Grand Prix ausgezeichnet.
Alle Zimmer mit Meerblick
In Prora soll sich der deutsche Arbeiter zu günstigen Preisen erholen und neue Kraft tanken. Der "Koloss von Rügen", nur 150 Meter vom Strand entfernt, ist für 20.000 Menschen konzipiert. Jeder der acht Blöcke - ursprünglich sind sogar neun geplant - ist 550 Meter lang und verfügt über sechs Stockwerke. 10.000 Zimmer sollen am Ende fertiggestellt sein. Die geplante Ausstattung der nur 2,5 mal 5 Meter großen Zimmer ist - gemessen an heutigen Maßstäben - sehr einfach gehalten: zwei Betten, eine Sitzecke, ein Schrank und ein Waschbecken. Sanitäre Einrichtungen befinden sich in den Treppenhäusern der Blocks. Aufgrund der langgezogenen Bauweise bekommt jedes Zimmer Meerblick. Die Kosten für das Projekt werden damals auf etwa 237 Millionen Reichsmark taxiert, die heute rund 850 Millionen Euro entsprächen.
Prora: Aufbau, Verfall und Sanierung
Das von Adolf Hitler in Auftrag gegebene Seebad Prora wird nie komplett fertiggestellt. Die Ferienanlage soll laut Planung 20.000 Menschen Erholung auf der Ostseeinsel Rügen ermöglichen.
Die KdF-Anlage wird vorrangig vom Architekten Clemens Klotz geplant. Am 2. Mai 1936 findet die Grundsteinlegung statt. Das Ereignis wird als Großveranstaltung gefeiert und im Radio übertragen. Kriegsmarine und Luftwaffe bilden den militärischen Rahmen.
Im April 1938 beginnen die Fundamentarbeiten. Bis zum Sommer 1939 werden die sogenannten Bettenhäuser, also die zum Strand parallelen Unterkunftshäuser, im Rohbau fertiggestellt.
In den nach hinten ausgerichteten Gebäudeteilen befinden sich unter anderem die Treppenhäuser inklusive der sanitären Einrichtungen.
Diese Luftaufnahme des "Koloss' von Rügen" zeigt nur vier von insgesamt acht baugleichen Blöcken - geplant sind anfangs sogar neun. Insgesamt erstreckt sich der Gebäudekomplex über viereinhalb Kilometer. Heute steht das längste Bauwerk der Nationalsozialisten unter Denkmalschutz.
Nach Kriegsbeginn stoppen die Nazis die Bauarbeiten. Teile des Rohbaus dienen als Ausbildungsstätte, Lazarett oder auch Flüchtlingslager. 1945 sprengt die Rote Armee den Nordflügel. Komplett zerstört wird das robuste Bauwerk dadurch jedoch nicht - es bleibt eine einsturzgefährdete Ruine.
"Einsturzgefahr" und "Betreten verboten" heißt es in vielen Gebäudeteilen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Nationale Volksarmee in Prora stationiert. Einen der Blöcke nutzt das DDR-Militär als Erholungsheim für NVA-Soldaten und deren Angehörige.
Imposant: Wer einmal selbst neben den langgezogenen Gebäudeteilen - hier die sogenannten Bettenhäuser - gestanden hat, bekommt ein wirkliches Gespür für den Gigantismus der Nationalsozialisten.
Kurios: Ist man erst am Strand, ist das mehrstöckige Gebäude kaum noch zu sehen - dank der Bäume und der Dünenlandschaft.
Grau, schmutzig, unansehnlich: Der "Koloss" zerfällt im Laufe der Jahre immer mehr.
Die KdF-Anlage liegt inmitten idyllischer Natur. Diese hat sich bei den nicht genutzten oder zerstörten Blöcken Stück für Stück das Terrain zurückerobert.
Neben der Natur greifen auch die Menschen immer wieder ein. Die KdF-Anlage bleibt lebendig.
Das bezieht sich auch auf die Vergangenheit: Seit 2000 befasst sich das Dokumentationszentrum Prora mit dem historischen Denkmal. Die Dauerausstellung "MACHTUrlaub" ordnet Freizeit im Nationalsozialismus in den machtpolitischen Rahmen ein. Begleitet wird sie von wechselnden Ausstellungen wie hier über polnische Zwangsarbeiter...
... oder die Sonderausstellung "Im Objektiv des Feindes. Die deutschen Bildberichterstatter im besetzten Warschau 1939 - 1945". Die Ausstellung zeigt über 135 Fotos dieser Zeit.
Die Ferienanlage wird zwischenzeitlich unter anderem für kulturelle Veranstaltungen wie ein Jugendevent genutzt. Ziel des Festivals ist es, junge Menschen zum Diskutieren über Politik und Demokratie zusammenzubringen. Hier entsteht schon 2003 die Idee, eine Jugendherberge in Prora zu etablieren.
Und so kommt es auch - aus alt mach neu: So sieht Block V des Komplexes während der Teil-Sanierung aus. Es entsteht die größte Jugendherberge Mecklenburg-Vorpommerns. Unterstützt wird das Vorhaben mit mehreren Millionen Euro. Der Hotel- und Gaststättenverband kritisiert dabei das öffentliche Engagement. Der Ausbau gefährde die Hotellerie, so der Vorwurf.
Sanierte, helle Fassade: Der Block sieht zumindest etwas freundlicher aus. Die Länge des Gebäudes bleibt eindrucksvoll.
Im Block V wird im Juli 2011 die Jugendherberge eröffnet. Auf fünf Etagen stehen 100 Zimmer für 400 Gäste bereit.
Und so bevölkern inzwischen viele junge Menschen den auf Vordermann gebrachten Block der alten Anlage der Nationalsozialisten.
Feiern soll auch möglich sein - allerdings ist der Ort dafür von einer topmodernen Partymeile weit entfernt. Immerhin gibt es in dem alten Gebäudekomplex eine Disco und ein Restaurant.
In anderen Blöcken tut sich hingegen eine Menge: So entstehen in den südlichen Komplexen viele neue Wohnungen und Appartements. Zwar können hier nicht unbedingt 20.000 Menschen ihren Urlaub verbringen, aber Platz für Feriengäste sowie neue Einwohner ist reichlich vorhanden.
Die Arbeiten ziehen sich über Jahre hin. Dabei wird jede Menge Schutt aus den Blöcken entfernt. Nach der Entkernung beginnt die eigentliche Umgestaltung.
Neue Bewohner oder Mieter müssen mitunter tief in die Tasche greifen. Der Quadratmeterpreis für eine luxuriöse Wohnung reicht bis zu 6.500 Euro.
So sollen die Häuser den Planungen zufolge am Ende aussehen. Das gigantische Ausmaß bleibt, aber die Blöcke wirken nun frisch und sauber - vom Grau der NS-Zeit ist nichts mehr zu sehen.
Gesprengt, aber nicht zerstört
Der Zweite Weltkrieg verhindert allerdings eine Nutzung Proras als Ferienanlage. 1939 ist lediglich der Rohbau fertig, nicht jedoch die Schwimmbäder, die große Festhalle und die meisten Wirtschaftsgebäude. Geplant sind eigentlich auch ein Aufmarschplatz und Kaianlagen, die ein Anlegen von Seebäderschiffen ermöglichen sollen. Die Nazis stoppen die Bauarbeiten zu Kriegsbeginn. Sie nutzen Prora als Ausbildungsstätte für Luftwaffenhelferinnen und ein Polizeibataillon. 1943 werden Teile der südlichen Blocks ausgebaut, um Ersatzquartiere für ausgebombte Hamburger zu schaffen. Von 1944 an dient die Anlage der Wehrmacht als Lazarett. Gegen Ende des Krieges finden dort auch Flüchtlinge aus den früheren Ostgebieten eine Bleibe.
1945 sprengt die Rote Armee Teile des Nordflügels, die jedoch lediglich schwer beschädigt, nicht aber zerstört werden. Etwa 2,5 Kilometer Gebäude sind daraufhin noch nutzbar, die restlichen zwei Kilometer Ruine.
Bis zu 10.000 NVA-Soldaten stationiert
Zu DDR-Zeiten dienen Teile des Gebäudes als Kaserne der NVA.
Nachdem die Sowjetunion im Mai 1945 die Kontrolle über Rügen übernimmt, wird die Anlage zur Internierung von Grundbesitzern und weiterhin zur Unterbringung von Heimatvertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten genutzt. Teile der Anlagen werden für den Abtransport als Kriegsreparationen demontiert. Zwischen 1948 und 1953 nutzt die Rote Armee die Bauten.
Später zieht die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR in die Anlage. Das umliegende Areal wird über Jahrzehnte zum Sperrgebiet und somit unzugänglich für die Öffentlichkeit. Bis zu 10.000 NVA-Soldaten werden in Prora stationiert sowie ausgebildet und geschult. 1969 wird eine Technische Unteroffiziersschule gegründet. In den 1980er-Jahren sind zudem bis zu 500 Bausoldaten zeitgleich dort untergebracht. Sie arbeiten am Bau des Fährhafens Mukran. Der südlichste Teil der Anlage steht Angehörigen von NVA und Grenztruppen als Erholungsheim, Kinderferienlager und Ferienort zur Verfügung.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 übernimmt die Bundeswehr die Anlage, stellt die Nutzung Ende 1992 aber ein und verlässt Prora. Seit Anfang 1993 ist das Gelände öffentlich zugänglich. 1994 wird Prora unter Denkmalschutz gestellt.
Museen erzählen Geschichte
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Die Besucher des Dokumentationszentrums können sich in verschiedenen Ausstellungen über Prora informieren.
Die Anlage fristet lange Zeit ein stiefmütterliches Dasein und wird unterschiedlich genutzt. Privatleute ergreifen 1994 die Initiative und gründen die Museumsmeile Prora, die neben Museen auch Cafés, Galerien und Ausstellungen umfasst. Noch heute können sich Interessierte in verschiedenen Ausstellungen über die DDR informieren. Außerdem ist in den Gebäuden unter anderem das Dokumentationszentrum Prora untergebracht. Doch darüber hinaus stehen die meisten Blöcke leer und verfallen.
Längste Jugendherberge der Welt
Im Jahr 2003 findet das Jugendtreffen "Prora03" auf Rügen statt. Damals kommen rund 15.000 Jugendliche. Daraufhin entsteht die Idee, die Ruine in eine Jugendherberge umzubauen. Die Pläne sind Jahre später Realität geworden: Am 4. Juli 2011 wird die Herberge mit 100 Zimmern und 400 Betten am Nordende der Prora-Bauten in Block V eröffnet. Sie ist die größte Mecklenburg-Vorpommerns und die längste der Welt. Ein internationaler Jugendzeltplatz mit 250 Plätzen besteht bereits seit September 2007.
In unmittelbarer Nachbarschaft der ehemaligen KdF-Anlage befindet sich seit 2013 das Naturerbe-Zentrum, das mit seinem Baumwipfelpfad ein Touristenmagnet geworden ist.
Moderner Komfort zieht ein
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2015 saniert: Block II des ehemaligen KdF-Seebades Prora.
Nach und nach werden Gebäudeteile verkauft und anschließend saniert - wie etwa die Blöcke I und II. Ein Investor zahlt etwa für Block I Ende März 2012 bei einer Versteigerung 2,75 Millionen Euro. In dem Komplex entstehen unter anderem etliche Eigentums- und Ferienwohnungen sowie ein Hotel. Die Architekten müssen dabei den Denkmalschutz berücksichtigen und trotzdem modernen Wohnkomfort in den geschichtsträchtigen Wänden gewährleisten. Die Preise für diese zumeist luxuriösen Wohnungen erreichen bis zu 6.500 Euro pro Quadratmeter. Kritiker sprechen von Wohnraum für die "oberen Zehntausend".
Der Blick auf die Ostsee ist aber wie schon in den 1930er-Jahren eigentlich unbezahlbar. Heute wie damals fasziniert und verstört Prora mit seinem Monumentalbau die Menschen.
Karte: Prora - ein Monumentalbau am Ostseestrand
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Panorama 3
Fast 80 Jahre nach dem Bau des monumentalen Seebades Prora auf Rügen durch die Nationalsozialisten entstehen nun Luxus-Ferienwohnungen. Doch wie passt das zum Denkmalschutz?
Video (07:10 min)
Unsere Geschichte
Hubertus Meyer-Burckhardt unternimmt eine abenteuerliche Forschungsreise zu spektakulären Bauwerken in Norddeutschland. Sein Credo: Steine erzählen Geschichte.
Video (88:30 min)
Weitere Informationen
Lange Zeit schlummerten sie in einer Holzkiste und einem alten Überseekoffer: Erst die Enkel des Prora-Chefstatikers Adolf Leber entdeckten historische Pläne zum "Koloss von Rügen".
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Als geplantes Ferienobjekt aus der Nazi-Zeit hat Prora Bekanntheit erlangt. Heute zieht der kleine Ort an der Ostküste Rügens mit seinem langen Strand immer mehr Urlauber an.
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Für einen reinen Strandurlaub ist Deutschlands größte Insel viel zu schade. Denn auf Rügen gibt es viel zu entdecken - etwa außergewöhnliche Architektur oder Natur mit Welterbestatus.
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Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV |
02.01.2018 | 09:00 Uhr