Der in Arizona ansässige Wasserstoff-Fahrzeugentwickler ist an der Börse nach starken Kursgewinnen in kürzester Zeit mit bis zu 30 Milliarden Dollar mehr wert als etablierte Konkurrenten. Das erinnert schwer an die Kapriolen bei Tesla – und der Hintergrund ist ähnlich.
Wenn sich zur Geldschwemme der Zentralbanken technologische Euphorie gesellt, ist an den Finanzmärkten beinahe alles möglich. Das zeigt sich bei Tesla, wo unglaubliche Kurskapriolen eher normal als aussergewöhnlich sind – und neuerdings auch beim Konkurrenten Nikola Motor. Die Aktie des in Arizona ansässigen Fahrzeug- und Brennstoffzellen-Entwicklers geht seit der überraschenden Fusion mit einer börsenkotierten Zweckgesellschaft am vergangenen Donnerstag durch die Decke, sie hat seitdem um mehr als 160% zugelegt. Das ist enorm.
Nikola entwickelt moderne Gelände- und Lastkraftwagen mit Elektro- und Wasserstoffantrieb und hat nach den starken Kursgewinnen der vergangenen Tage einen Marktwert von etwa 30 Mrd. $ erreicht. Damit bewegt er sich die Firma bewertungsmässig auf der Höhe oder über etablierten Konkurrenten wie Paccar und Traton, obwohl sie bis anhin keinerlei Umsätze erzielt. Die Investoren sind trotzdem begeistert, weil sie mit der rosaroten Brille unterwegs sind und von hohem, profitablem Wachstum in der Zukunft träumen.
Was erregt ihre anscheinend grenzenlose Phantasie? Nun, Nikola hat in den vergangenen Jahren massiv in die Entwicklung der Batterie- und Brennstoffzellentechnologie investiert und will nun in erster Linie den Markt schwerer Lastwagen aufrollen. Erstens mit den Fahrzeugen selbst, die bei umweltfreundlichem Antrieb niedrige Betriebskosten, eine hohe Reichweite und gleichzeitig auch noch eine lange Lebensdauer bieten sollen. Zweitens mit dem Aufbau einer Ladeinfrastruktur in Europa und in den USA, die den Stromtankstellen Teslas ähnelt – nur mit dem Unterschied, dass die Fahrzeuge von Nikola mit Strom beziehungsweise vor allem auch mit jeweils autonom und umweltfreundlich produziertem Wasserstoff versorgt werden sollen. Der Kunde würde ein Pauschalpaket kaufen, in welchem neben dem Fahrzeug verschiedene Services wie zum Beispiel automatische Software-Updates und sogar die Energiekosten enthalten wären.
Dieses Angebot hört sich gut an in einem Umfeld, in dem der Enthusiasmus der Wall Street für Elektroautos sowie für andere Zukunftstechnologien ausgeprägt ist und in dem verschiedene Logistikunternehmen wie Amazon oder United Parcel Service die Losung ausgegeben haben, ihren CO2-Fussabdruck möglichst zu reduzieren. Wenn sich dabei auch noch die Produktivität steigern und die Kosten senken liessen, umso besser. Nikola hat nach eigenen Angaben Vorbestellungen für seine Produkte im Gegenwert von über 10 Mrd. $. So hat die Brauerei Anheuser-Busch InBev zum Beispiel Hunderte von Lastwagen bestellt, und Nikola hofft, schon im nächsten Jahr mit der Lieferung batteriebetriebener Sattelschlepper für kurze Strecken erste Umsätze zu erzielen.
Das ist keine Vorstellung aus dem Wolkenkuckucksheim. Denn tatsächlich wurde Nikola schon vor dem unkonventionellen Börsengang von Firmen wie Robert Bosch und von CNH International mitfinanziert. Der deutsche Autozulieferer entwickelt die Brennstoffzellen, welche Wasserstoff emissionsfrei in Elektrizität umwandeln, zusammen mit dem schwedischen Unternehmen Powercell. Die Kosten der motorgrossen Aggregate sollen mit hohen Stückzahlen sinken und so kompetitiv werden, dass ihr Marktanteil beim Antrieb schwerer Nutzfahrzeuge in zehn Jahren bei etwa 15% liegen soll. CNH dagegen wird schon im kommenden Jahr beginnen, im Ulmer Werk der Tochter Iveco erste Nikola-Fahrzeuge für den europäischen Markt zu bauen. Der Nikola TRE basiert auf einer Iveco-Plattform, der Antrieb, die Steuerung und das Infotainment dagegen sollen von Nikola kommen und die Wasserstofftechnologie vom norwegischen Unternehmen Nel ASA.
Der Unternehmensgründer und Chef Trevor Milton hat jedoch auch noch ganz andere Karten im Ärmel, und er zieht sie im Stile von Elon Musk bei Tesla. Am Montag twitterte er, Nikola werde ab dem 29. Juni Reservierungen für einen Pick-up-Truck namens Badger entgegennehmen. Das Fahrzeug, das mit Batterien oder mit Brennstoffzellentechnologie angetrieben werden soll, galt in der Vergangenheit eher als prestigeträchtiges «Nebenprojekt». Nun möchte Milton in den kommenden Monaten einen voll funktionsfähigen Prototyp vorstellen, der im Laufe der Zeit dem Ford F-150, dem meistverkauften Pick-up-Modell des Landes, den Rang ablaufen und dem Cybertruck von Tesla Konkurrenz machen soll. Das ist ambitioniert. Denn Fachleute gehen davon aus, dass dieses ehrgeizige Ziel nur erreicht werden könnte, wenn Nikola mit etablierten Herstellern zusammenarbeiten würde. Immerhin sind Fahrzeuge dieser Kategorie betriebswirtschaftlich interessant, weil sie unter normalen Umständen hohe Margen erzielen und so Geld in die Kasse spülen.
Ähnlich wie Tesla möchte Nikola den Mobilitätssektor komplett aufrollen. Im Unterschied zum Konkurrenten sollen sich die Elektromotoren der Fahrzeuge allerdings vor allem mit Energie speisen, die aus einer Brennstoffzelle gewonnen wird statt aus einem Akku. Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Denn die Erwartungen in die Technologie waren schon immer hoch, die realen Ergebnisse dagegen bisher oft eher unbefriedigend. So wird wohl kaum überraschen, dass die starken Kursgewinne der Nikola-Papiere in den vergangenen Tagen die ersten Short-Seller auf den Plan gerufen haben. Sie zweifeln an der «Wachstums-Story» und wetten auf eine Halbierung des Kurses. Da könnte eine Klage etwas Linderung verschaffen. Denn Nikola klagt Tesla an, sich bei der Konzeption seines Elektro-Trucks bei den Nikola-Modellen bedient zu haben. Die Höhe der Schadenersatzforderung beläuft sich auf 2 Mrd. $.