06:15 03 Dezember 2020
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    Donald Trump wird US-Präsident (182)
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    Nach der Erdrutsch-Wahl in den USA warnen Medien und Politiker vor einem Siegeszug des Populismus. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Professor Heiner Flassbeck hält das für eine faule Ausrede und sieht den Grund für Trumps Erfolg im Frust der ärmeren Menschen über die Politiker und das Establishment.

    Herr Flassbeck, wie erklären Sie sich, dass ein Showman, politisch unerfahren, zum Präsidenten des mächtigsten Landes der Welt gewählt werden konnte?

    Die Menschen wollen überall auf der Welt, nicht nur in den USA, weg vom Establishment, weil sie vom Establishment der Politik — und das reicht von links bis rechts — extrem enttäuscht sind.

    Also war das eine reine Protestwahl?

    Ja, das unterstelle ich jetzt mal. Die Menschen sind es leid. Man kann einfach dieses Geschwätz der Politiker nicht mehr hören, dass man den Gürtel enger schnallen muss und trotzdem werden einige reich, während andere zurückbleiben.

    Jetzt warnen alle vor Populismus. Das heißt, es ist falsch, als Politiker auf das einfache Volk zu hören?

    Nein, überhaupt nicht. Ich glaube zwar nicht, dass Herr Trump am Ende tun wird, was er dem Volk versprochen hat. Aber im Prinzip ist es völlig richtig, auf das Volk zu hören. Dieser Populismus-Vorwurf ist einfach dumm. Die Misere der westlichen Volkswirtschaften liegt ja gerade an der Nichtteilhabe der normalen Bürger. Das ist das größte soziale und wirtschaftliche Problem.

    Es scheint wirklich immer mehr eine Zweiklassengesellschaft zu geben: hier die Multikulti-Großstädter mit ihren Bio-Läden und Transgender-Freunden und dort die Arbeiter und Bauern. Da fühlt man sich unwillkürlich wieder an Karl Marx erinnert.

    Das ist richtig. Es gibt eine große Kluft bei der Einkommens- und Vermögensentwicklung. Das sind die meisten Politiker und Medien aus ideologischen Gründen nicht bereit zur Kenntnis zu nehmen, weil sie selbst dreißig Jahre lang den Standpunkt vertreten haben, dass wir aufgrund der Globalisierung anders wirtschaften müssen, das die Ungleichheit zunehmen und der Staat kleiner werden muss. Jetzt sehen wir die Folgen, dass Menschen mit geringerem Einkommen und sogar die Mittelschicht, falls sie überhaupt noch existiert, total frustriert sind — und das nennt man jetzt Populismus.

    Welche Auswirkungen könnte die Wahl Trumps auf die Wirtschaft haben?

    Das kann man noch schwer sagen, weil man nicht weiß, was von seinen Wahlversprechen er wahrmachen wird und wie er vor allem mit dem zentralen Problem der staatlichen Schulden umgehen wird. Immerhin hat er jetzt in seiner ersten offiziellen Ansprache von einem Infrastrukturprogramm gesprochen. Wenn er das wirklich ernst meint, kann das für die amerikanische Wirtschaft sehr positiv sein.

    Nur, auch Obama hat als erstes ein Infrastrukturprogramm versprochen und herausgekommen ist fast nichts.

    Wird TTIP nun kommen oder eher nicht?

    Nein, das glaub ich nicht. Er hat ja den Freihandel abgelehnt und davon wird er jetzt nicht völlig abweichen. Das ist aber eigentlich gar nicht so problematisch. Dieser ganze Freihandel mit seinen angeblichen Vorteilen ist doch auch so eine neoliberale Fiktion, die es im wirklichen Leben nicht gibt.

    Ich könnte mir schon vorstellen, dass Trump gegenüber Deutschland ähnlich radikal reagiert, wie viele seiner republikanischen Vorgänger wie Ronald Reagan oder Bush Senior, die gesagt haben, wenn ihr eure Überschüsse nicht abbaut, dann ist das mit dem Freihandel zu Ende. Damit haben sie ja auch Recht.

    Wird es zu mehr Protektionismus kommen?

    Trump wird sich sicher mit Deutschland auseinandersetzen. Er wird sich bestimmt eine Liste der Länder mit dem größten Außenhandelsüberschuss vorlegen lassen und da steht Deutschland ganz oben.

    In welchem Zustand befindet sich eigentlich die amerikanische Wirtschaft? Die USA gelten ja als das reichste Land der Welt.

    Reich schon. Die wirtschaftliche Entwicklung war auch in den letzten Jahren besser als in Europa, aber das ist ja keine Kunst, weil Europa ja selbst eine Katastrophe angerichtet hat in Sachen Wirtschaftspolitik. Die Entwicklung in den USA war allerdings auch nicht berauschend und kann verbessert werden. Wenn Trump sich wirklich trauen sollte, Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen für Infrastrukturprojekte, was ja sinnvoll ist bei null Prozent Zinsen, dann könnte er gewaltig was erreichen.

    Ganz ehrlich — kann ein einzelner Mann überhaupt so viel ändern am System? Werden nicht die Regeln ganz woanders gemacht, zum Beispiel an der Wall Street?

    Ja, das stimmt schon. Die Wall Street wollte ja Hillary Clinton, aber hat sich nicht durchsetzen können. Aber natürlich steht ein gewählter amerikanischer Präsident unter unglaublichem Druck von ganz vielen verschiedenen Seiten. Er wird da Mitstreiter brauchen. Er kann ja nicht alles alleine machen. Insofern sieht alles anders aus, wenn man erst mal im Amt ist. Viele seiner Sprüche vorher darf man nicht so ernst nehmen. Aber der Präsident kann schon eine andere Richtung vorgeben.

    Interview: Armin Siebert

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    US-Präsidentschaftswahl 2016, Donald Trump, USA, Deutschland