Hauptverband des Österreichischen Buchhandels

Brainin, Josef

Vom Nest beschmutzt

 

In seinem Roman Der Staubleser erzählt Josef Brainin eine sehr österreichische Geschichte über das immer noch herrschende Verschweigen und Verdrängen.

Interview: Martin Lhotzky / Foto: Ruth Ehrmann
Anzeiger 02/2013

In Ihrem Roman Der Staubleser geht es in der Hauptsache um in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gestohlene Kunstwerke?
Einer der Auslöser für meine Beschäftigung mit diesem Thema war die schwelende Raubkunstdiskussion in Österreich, die für mich einen neuen Zugang zur Thematik gebracht hat. Ich dachte, das sei jetzt so eine Art Vergrößerungsglas dafür. Das hat ja auch eine ganz neue Brisanz bekommen mit all diesen Dingen, die man schon für abgehakt hielt. Etwa diese Bilder, die da in den verschiedensten Museen hingen und nun mit einer Vorgeschichte verbunden wurden, die sie vorher nicht hatten. Diese Aktualität hat mich als Werkzeug für meinen Roman sehr interessiert, dass man sich deswegen einmal mehr mit der unrühmlichen Vergangenheit des Landes beschäftigen kann. Speziell mit dem Jahr 1938 in Österreich.

Im Roman kommt in diesem Zusammenhang die großbürgerliche Gesellschaft nicht so gut weg.
Ich will da keine soziodemografischen Aussagen treffen, die Beweise erfordern würden. Was ich aber sagen kann ist, dass diese Geschichte für einen gelernten Österreicher denkmöglich ist. Ich kenne sehr honorige Hietzinger und Döblinger, aber es gibt auch andere, und um die geht es mir. Es ist nun einmal notwendig, einen gewissen Staub von der Oberfläche wegzublasen, um auf Dinge zu stoßen, von denen viele glauben, es gäbe sie nicht mehr. Dafür ist der Protagonist meines Romans, der Antiquitätenhändler Alfred, ein sehr brauchbares Vehikel, weil er gerade das tut: den Staub entfernen. Er ist durch seine speziellen Fähigkeiten der Wahrnehmung dafür prädestiniert. Der Titel des Romans steht dafür schon als Metapher. Er erkennt dadurch viel mehr als andere Leute. Und ich rede dabei nicht nur von antiken Möbeln.

Handelt es sich dabei nicht um Leute, die das alles gar nicht bemerken wollen?
Da gibt es solche – und solche. Ich spreche dabei gar nicht von Neonazis, sondern vom historischen, fast klassischen Antisemitismus, wie er uns beim Doktor Karl Lueger begegnet, oder in Schnitzlers Professor Bernhardi. Für Außenstehende ist das oft schon alarmierend. In Österreich hingegen scheint man immer noch zu denken: „Na ja, das ist doch nicht so schlimm!“ So eine abwiegelnde, kalmierende Einstellung diesem Problem gegenüber ist zum Beispiel in Deutschland nicht vorhanden. Diese Haltung ist außerhalb Österreichs auch nur schwer zu erklären, dafür wird man hier dann als Nestbeschmutzer bezeichnet. Von Karl Kraus soll dazu übrigens das Zitat stammen, wir beschmutzen nicht das Nest, das Nest beschmutzt uns. Allein dafür verdient Karl Kraus meine Verehrung. Es gibt eben hierzulande so einen merkwürdigen, fast kodifizierten Umgang mit dem Thema Antisemitismus, und um das geht es mir, da muss einmal der Staub weggeblasen werden.

Ihren „Staubleser“ Alfred stellen Sie übrigens nur mit seinem Vornamen vor.
In vielen Büchern ist es ja so, wenn ein Mann und eine Frau auftreten, wird der Mann immer mit seinem Nachnamen genannt, die Frau aber fast immer nur mit ihrem Vornamen. Autoren gestatten also dem Publikum erst später, mit dem Protagonisten auf eine First-Name-Basis zu gelangen, bei Frauen ist das, zumindest meiner Beobachtung nach, viel früher der Fall. Ich will da meinen Lesern sozusagen gleich einen barrierefreien Zugang ermöglichen.

Sie nennen das eine „First-Name-Basis“ – das würde Alfred aber nicht gefallen. Er zeigt doch eine Abneigung gegen Anglizismen?
Das war so ein verschrobener Zug, den ich ihm angedichtet habe. Meine Lektorin hat da gut aufgepasst und dann noch ein paar Anglizismen, die mir hineingerutscht waren, wieder rausgestrichen. Alfred bewegt sich doch eher in einem lokalen Mikrokosmos und hat eigentlich keinen globalen Anspruch an sein Leben.

Aber er setzt sich doch auch von heute auf morgen ins Flugzeug nach Amerika?
Ja, aber das war doch eine Dienstreise, um das Bild abzuliefern. Ich selbst stehe im Gegensatz dazu aber sehr gut mit der englischen Sprache. Ich war ein Jahr in Amerika in der Schule, wir haben zu Hause sehr viel Englisch gesprochen, ich lese fast nur englische Belletristik. Also, ich habe sehr viele Anglizismen in meinem Leben. Ich habe mich halt bemüht, den Alfred davon freizuhalten.

Der Handlungsstrang um das geraubte Bild und die Restitution setzt erst richtig ein, als Alfred beauftragt wird, eine Wohnung zu entrümpeln. Er findet dort ein Foto, das den Wohnungsbesitzer in Wehrmachtsuniform zeigt und ein Schreiben von einem Schätzmeister einer Arisierungskommission.
Da erfährt die Entwicklung seines Charakters eine neue Intensität. Jetzt ist er plötzlich gezwungen, etwas zu tun, zu handeln. Das war in seinem Leben davor so nicht vorgesehen. Am Anfang macht er fast überhaupt nichts in seinem Antiquitätengeschäft, außer, was eben so zu seiner Profession gehört, von den Frauengeschichten einmal abgesehen. Aber dann tritt Betty Silver mit dem Nachforschungsauftrag an ihn heran. Er könnte da noch aussteigen, aber der Einsatz ist da schon hoch und wird immer höher für ihn.

Da kommen dann auch einige Elemente einer Kriminalgeschichte hinein: Ein Mann wird bedroht und verprügelt, zwei Einbrüche werden verübt.
Für einen Krimi reicht das aber nicht, es gibt ja keine Leiche und keinen einzigen Polizisten.

Kriminalliteratur wird allerdings kurz einmal angesprochen. Mögen Sie persönlich Detektivgeschichten?
Ich habe so viele Krimis gelesen, ich kann die eigentlich nicht mehr sehen. Darum habe ich auch keine Kriminalerzählung geschrieben. Die narrative Auflösung ist sogar eher nebensächlich für mich. Ich versuche zu zeigen, wie Alfred zuvor – und das wird ihm selbst auch erst am Ende klar – unter all diesen Reglementierungen gelitten hat, und dass es Zeit für ihn geworden ist, erwachsen zu werden, Verantwortung zu übernehmen. Er soll sagen können: „Ich bin hier, ich bleibe hier, und das ist mein Land.“


Josef Brainin, geboren 1950 in Wien, war viele Jahre in der IT-Branche im Bereich Corporate Communications tätig. Dazwischen beschäftigte er sich immer wieder mit Übersetzungen, schrieb Fachartikel, literarische Texte und Lyrik. Der Staubleser ist sein erster Roman.


Josef Brainin
Der Staubleser
Braumüller Literaturverlag, März 2013
ISBN 978-3-99200-081-4

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